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Insgesamt elf der ursprünglich 43 zur Wahl angetretenen Parteien haben es in die Knesset geschafft. Neben den beiden großen Parteien, dem Likud unter Benjamin Netanjahu (36 Mandate) und der neuen Partei „Kachol-Lavan“ (Blau-Weiß) unter Benny Gantz (35 Mandate), gibt es in der 21. Knesset des Staates Israel die sephardisch-ultraorthodoxe Schass-Partei (8), das aschkenasisch-ultraorthodoxe Vereinigte Thorajudentum (7), die arabischen Parteien „Chadasch-Ta’al“ (6) und „Balad-Vereinigte Arabische Liste“ (4), die sozialdemokratische Arbeitspartei (6), das vor allem von russischen Neueinwanderern gewählte „Israel Beiteinu“ unter Avigdor Lieberman (5), die Union der Rechtsparteien (5), „Kulanu“ (Wir alle) unter dem bisherigen Finanzminister Mosche Kachlon (4), sowie die kommunistisch-linkszionistische Partei „Meretz“ (4).
Der Likud, die Ultraorthodoxen, Kulanu, die Rechtsunion und Israel Beiteinu haben 65 von 120 Sitzen. Sechzig künftige Knessetabgeordnete haben sich von vornherein Netanjahus Koalition verpflichtet. So war schon unmittelbar nach den Wahlen nur fraglich, was Ex-Verteidigungsminister Avigdor Lieberman für sich und seine vier Parteigenossen als Preis für seinen Beitritt zur Koalition fordern werde. Für Manöver und Spekulationen blieb von vornherein wenig Raum.
Zur Erinnerung: Nachdem Netanjahu Lieberman Ende 2018 ein härteres militärisches Vorgehen gegen die Hamas untersagt hatte, war es zu den vorgezogenen Neuwahlen gekommen. Möglicherweise fordert Lieberman jetzt das Verteidigungsministerium für sich, sowie ein Versprechen, freie Hand gegen die Hamas im Gazastreifen zu haben.
Gerüchte, eine große Koalition aus Likud (36) und Kachol-Lavan (35) sei am Horizont, werden bislang vor allem von den Kachol-Lavan-Führern Gantz und Lapid vehement zurückgewiesen.
Referendum zur Person Netanjahu
Damit ist klar, dass Netanjahu sich eine fünfte Amtszeit sichern konnte. Seine Gegner haben alles getan, um ihn außer Gefecht zu setzen. Jetzt beklagen sie: Wann immer es den Anschein hatte, dass Netanjahu den Schwung verliert, sei es durch Raketenangriffe aus Gaza, durch strafrechtliche Anklagen oder den Verdacht der Korruption, gelang es ihm doch immer wieder, die Initiative zurückzugewinnen. Und dann hatte er genau zur rechten Zeit natürlich immer Unterstützung aus dem Ausland, sei es von Donald Trump, Wladimir Putin oder auch dem brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro.
Letztlich waren diese Wahlen ein Referendum über die Person Benjamin Netanjahu und seine Politik. Und das israelische Volk hat seinen Willen recht klar zum Ausdruck gebracht.
366.049 Stimmen, beziehungsweise fast neun Prozent aller Stimmen, gingen an Parteien, die die 3,25%-Hürde nicht schafften – also verloren. Die Wahlbeteiligung in der arabischen Gesellschaft Israels war so niedrig, wie noch nie.
Der große Verlierer der Wahl ist Israels Linke.
Benny Gantz und seine Partner werden nicht müde, zu betonen, was für eine Errungenschaft es sei, aus dem Nichts eine neue Partei zu stampfen und auf Anhieb zur zweitgrößten Kraft im israelischen Parlament zu werden. Von weitem gesehen klingt das eindrucksvoll.
Bei näherem Hinsehen und vor allem bei etwas Geschichtskenntnis, sieht der Erfolg von Kachol-Lavan aber eher nach Totalversagen aus. Zunächst einmal ist es im Parteiensystem und in der Gesellschaft Israels relativ einfach, für Neuwahlen und vor allem mit einer einigenden Parole eine neue Partei zu gründen. So hatte etwa Ariel Scharon den Gazarückzug 2005 mit seiner neuen Partei „Kadima“ bewerkstelligt.
Sodann war Kachol-Lavan angetreten, um Netanjahu zu demontieren. Stattdessen hat Netanjahu jetzt Ben-Gurions Rekord eingeholt. Er wurde ebenfalls fünfmal zum Premierminister gewählt. Im Juli wird er höchst wahrscheinlich die Amtszeit Ben-Gurions ausstechen.
Zwar konnte Kachol Lavan eine Million Israelis für sich begeistern. Aber anstatt Netanjahu zu entmachten, hat die neue Partei Israels traditionelle Mitte-Links-Parteien vor die Wand gefahren. Kachol-Lavan mag die eine oder andere Stimme von Netanjahu gewonnen haben. Tatsächlich hat der Likud im Vergleich zur vergangenen Legislaturperiode zwei Mandate verloren. Entscheidend aber ist, dass die neue Partei der Generäle Gantz, Aschkenasi und Ja’alon gemeinsam mit ihrem Medienstar Lapid die Arbeitspartei und die Kommunisten von Meretz „kannibalisiert“ hat.
Die linksliberale HaAretz prophezeit Kachol-Lavan große Schwierigkeiten im Blick auf den inneren Zusammenhalt als Opposition und unkt: „Man zeige sich nicht überrascht, wenn einige ihrer Abgeordneten über kurz oder lang ihren Weg in Netanjahus Koalition finden werden.“
Neue Gesichter
Unter den 120 Abgeordneten der neuen Knesset gibt es 48 neue Gesichter. Fast die Hälfte davon gehört zu Kachol-Lavan. Da ist beispielsweise die 37-jährige Gadier Mrieh, die erste Drusin in der Geschichte Israels, die in die Knesset gewählt wurde. Aber auch die 40-jährige Omer Jankelevitsch, die zweite ultraorthodoxe Frau, die jemals in Israels Legislative mitgearbeitet hat. Die Juristin ist Mutter von fünf Kindern und hat sich einen Namen als gesellschaftliche Aktivistin gemacht. Einerseits ist sie eine lautstarke Fürsprecherin für Frauenrechte. Gleichzeitig tritt sie aber ausgesprochen für die von ihrer ultraorthodoxen Gemeinschaft geforderte Geschlechtertrennung ein.
Zu den „Neuen“ gehört auch Ofer Cassif, der einzige jüdische Abgeordnete in der arabischen Chadasch-Partei. Er war 1987 einer der ersten jüdischen Soldaten, die den Dienst in den besetzten Gebieten verweigerte. Justizministerin Schaked hat er einmal als „Neonazi-Abschaum“ bezeichnet. Die Zahl der offen homosexuellen Knessetmitglieder steigt von zwei auf fünf, oder um 150 Prozent.
Christlichen Zionisten dürfte am meisten auffallen, dass der Tempelbergaktivist Jehuda Glick nicht mehr in der Knesset vertreten ist. Glick ist im vergangenen Jahr verwitwet und kann jetzt seiner neuen Ehe viel Zeit widmen.
Die Verlierer
Der größte Verlierer der Wahlnacht vom April 2019 war definitiv die Arbeitspartei. Die Sozialdemokraten haben zwei Drittel ihrer Sitze verloren. Der Linksblock hat ungefähr die Hälfte seiner Sitze in der Knesset eingebüßt. Die Sozialdemokraten, die einst den Staat Israel gegründet und jahrzehntelang dominiert haben, wurden damit fast aus der Parteienlandschaft Israels ausgelöscht, weil ihre Wähler sich um Kachol-Lavan scharten, um Netanjahu zu entmachten. Ebenso haben viele traditionelle Wähler von Meretz dieses Mal Kachol-Lavan gewählt.
Jetzt erwägen Israels Sozialdemokraten angeblich eine Vereinigung mit Meretz und möglicherweise den arabischen Parteien. Sobald derlei Überlegungen bekannt wurden, schlossen die arabischen Kommunisten (Chadasch) allerdings eine Zusammenarbeit mit der „heuchlerischen“ Meretz lautstark aus.
Beobachter sehen den liberalen Zionismus Israels in einer existentiellen Krise. Der letzte sozialdemokratische Regierungschef, Ehud Barak, hat vor 18 Jahren sein Amt verlassen, bleibt kaum jemandem in guter Erinnerung, und nirgends am Horizont ist auch nur die leiseste Chance für irgendeinen Sozialdemokraten zu sehen, Netanjahu abzulösen. Meretz hat nur überlebt, weil es in letzter Minute das SOS-Signal „rettet Meretz vor dem Untergang“ an die Öffentlichkeit funkte.
Die „Neue Rechte“ von Bildungsminister Naftali Bennet und Justizministerin Ajellet Schaked hat die 3,25%-Hürde nicht geschafft. Es fehlten ihr nur 1.462 Wählerstimmen. Interessant sind jetzt Gerüchte, denen zufolge es im Likud Stimmen geben soll, die von Netanjahu fordern, Schaked in seiner neuen Regierung einen Posten anzubieten. Schaked gilt selbst innerhalb des Likud als „populär und beliebt“.
Wie geht‘s weiter?
Mit Netanjahu haben sich die Israelis für Kontinuität und Stabilität entschieden. Israels ehemaliger US-Botschafter Michael Oren bringt das auf den Punkt: „Unsere Wirtschaft ist hervorragend. Unsere außenpolitischen Beziehungen waren noch nie so gut. Wir sind sicher… wir kennen ihn, die Welt kennt ihn – selbst unsere Feinde kennen ihn.“
Sobald Netanjahu von Staatspräsident Reuven Rivlin den Auftrag erhalten hat, stehen ihm 28 Tage zur Verfügung, um eine neue Regierung zu bilden. Sollte er die gesetzlich mögliche Verlängerung der Frist beantragen, müsste die Regierung bis spätestens 5. Juni stehen. Der Traum von einer Zweistaatenlösung, bei der Israel einschneidende Zugeständnisse an die Palästinenser macht, ist damit weiter als je zuvor in diesem Jahrtausend in die Ferne gerückt.