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Am Vorabend des Passafestes versammeln sich in Israel jüdische Großfamilien zu einer fröhlichen Feier. Sie gedenken daran, dass Gott sie als Volk aus der Sklaverei in Ägypten geführt hat. Der Ablauf des feierlichen Abends wird durch die so genannte Haggada bestimmt, eine Liturgie, die durch den Abend führt. In wie weit die Haggada vollständig gelesen wird, hängt natürlich davon ab, ob eine Familie religiös ist oder nicht.

Die Tradition dieses Fest zu halten und des Auszugs aus Ägypten zu gedenken hat ihren Ursprung in den Anweisungen Gottes an Mose auf dem Berg Sinai. Das älteste schriftliche Zeugnis für eine Haggada ist mehr als 1 000 Jahre alt. Es ist ein Manuskript, das mit anderen alten jüdischen Schriften in der Ben-Ezra-Synagoge in Kairo entdeckt wurde.

Da Juden an vielen Orten in der Welt lebten, entstanden im Laufe der Jahrhunderte unzählige Haggada-Versionen, angefangen von prächtig ausgemalten Manuskripten bis hin zu gedruckten illustrierten Heften. Unter den erhaltenen Druckversionen stammen die Ältesten aus Guadalajara in Spanien aus dem Jahr 1482 und aus Prag von 1526.

Die Haggada, was wörtlich „Erzählung“ bedeutet, ist eine Mischung aus biblischen Texten und ihren rabbinischen Auslegungen, Gebeten und Liedern. Sie erzählt und kommentiert den Auszug aus Ägypten, enthält Anweisungen zu rituellen Handlungen, die das Geschehen illustrieren, und poetische Texte, die vorgetragen, gebetet, vorgeführt und gesungen werden. Dabei ist Anschaulichkeit sehr wichtig, weil es darum geht, dass die Kinder mit den Handlungen Gottes vertraut gemacht werden.

Fast ganz am Ende der allgemein erhältlichen Haggada findet sich ein Lied, dessen Autor, wie sehr oft bei Haggadatexten, unbekannt ist. Deswegen wird es auch als Volkslied bezeichnet. Es ist ein Zahlenlied, wobei es nicht darum geht, Zahlen zu lernen, sondern Inhalte, die dem Judentum wichtig sind. Das Lied ist mittlerweile sehr beliebt, und zwar nicht nur bei orthodoxen, sondern auch bei säkularen Juden. Es wird sogar in einer populären israelischen Kindersendung gesungen, in der ein Englisch sprechender Außerirdischer erscheint.

Das Lied hat keinen Titel und fängt ähnlich wie das erste Lied der Haggada mit einer Frage an: „Wer kennt die Eins?“ Man müsste das Verb, dass dort vorkommt, im Deutschen eigentlich mit zwei Ausdrücken übersetzen: „Wer kennt oder weiß das Eine?“, oder, noch besser, „den Einen?“ Das versteht man sofort, wen man die gesungene Antwort kennt: „Das Eine weiß ich, den Einen kenne ich: Unseren einen Gott, der im Himmel und auf Erden ist.“

Jede Strophe beginnt mit einer weiteren Frage. Dabei verwendet jede neue Strophe die nächsthöhere Zahl. Wenn die Frage beantwortet ist, werden die ganzen vorhergehenden Antworten wiederholt, wobei immer schneller gesungen wird. Das Lied ist eigentlich ein Dialog. Weil jede Frage mit „Wer kennt…“ anfängt, erweckt es den Eindruck, dass jeder in der Runde gefragt wird und eine Wahl hat zu der jeweiligen Zahl eine passende Antwort zu finden. Die Antwort kommt immer in der „ich Form“, wie wenn sich einer meldet und ruft: „Ich weiß es!“ Bei der Zahl Zwei heißt es dann also: „Ich weiß es: Zwei sind die Bunddestafeln.“ Nach dem Einen Schöpfer kommt also das Wort, das Gott den Israeliten gegeben hat.

Die Geschichte des Volkes und die Zugehörigkeit zum Volk Israel hat eine weitere Priorität. Wer Drei und Vier kennt, weiß um die drei Ahnen Abraham, Isaak und Jakob, und die vier Urmütter: Sarah, Rebekka, Rachel und Leah.

Mit der Fünf sind wir wieder bei der Bibel gelandet, und zwar bei den fünf Büchern Mose. Lasst uns nicht vergessen, dass es darum geht wer sie kennt, nicht nur weiß, dass es sie gibt. Wobei der pädagogische Wert dieses Liedes natürlich auch grundsätzlich im Wissen besteht.

Mit der Sechs kommen wir zur rabbinischen Lehre, denn die Mischna, die schriftlich festgehaltene mündliche Überlieferung, um die herum der Talmud aufgebaut ist, hat sechs Teile. Die Sieben führt uns zum alltäglichen Leben, aber auch zu der Schöpfung und zum Schöpfer selbst, denn eine Woche hat sieben Tage.

Am achten Tag wird ein neugeborener jüdischer Junge beschnitten und dadurch in den Bund Abrahams aufgenommen. Nach neun Monaten wird ein Kind geboren. Wie wichtig es im Judentum ist, dass Kinder auf die Welt kommen, wird dadurch deutlich, dass die neun Monate einer Schwangerschaft symptomatisch sind für die Zahl Neun und so ein fester Teil der Passaliturgie wurden.

Mit der Zehn sind wir wieder bei den Geboten Gottes und auch mit der Elf bleiben wir in der Thora: Wer kennt die Geschichte, in der Josef von elf Sternen geträumt hat? Bei der Zahl Zwölf fallen einem Bibelkenner gleich die zwölf Stämme Israels ein. Und die Dreizehn steht nach rabbinischer Lehre für die dreizehn in der Thora offenbarten Eigenschaften der Barmherzigkeit Gottes, etwa als er Mose auf dem Berg Sinai begegnete (Exodus 34,6-7). Dreizehn ist auch der Zahlenwert des hebräischen Wortes „Echad“, „Eins“, womit wir wieder zum Anfang kommen, dem einen, einzigen wahren Gott.

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By Published On: März 7, 20214,2 min read

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