Teile diese Geschichte auf deiner Plattform!
Die Forderung „Verantwortung zu übernehmen“, und dann auch noch „mit Blick auf Israel“ oder „das jüdische Volk“, ist gewagt. Sollten wir nicht endlich einen Schlussstrich ziehen unter das schwärzeste Kapitel deutscher Geschichte? Man kann doch nicht ewig rückwärtsgewandt bleiben. Vielmehr sollten wir den Blick nach vorn richten, gemeinsam eine bessere Zukunft bauen – selbstverständlich auch mit andersdenkenden und andersgläubigen Weggefährten. Und überhaupt: Wird das Thema „Israel“ nicht von vielen Christen schlicht übertrieben? Selbst Israelis und Juden sind die Israelbegeisterten unheimlich, die in immer größeren Scharen aus aller Welt das Heilige Land heimsuchen. Verlieren Viele mit ihrer „Faszination Israel“ oder „Fokus Jerusalem“ nicht das Eigentliche aus dem Blick? – So wird sich mancher angesichts dieser Themenstellung fragen. Doch was sagt die Bibel?
Erwählt – Was bedeutet das?
Der Schöpfer hat sich Abraham und seine Nachkommen erwählt, um ein Segen für die Völkerwelt zu sein (1. Mose 12,1-3). Das gilt exklusiv über die Linie Isaak und Jakob (1. Mose 17,18-19; 21,12; Römer 9,7). Damit verbunden ist die Funktion eines Maßstabs. Gott setzt die Grenzen der Völker nach der „Messlatte“ Israel (5. Mose 32,8). König David wusste: „Gott wies um Israels willen Könige zurecht.“ Deshalb ermahnte er die Nationen: „Tastet meine Gesalbten – meine Messiasse – nicht an. Tut meinen Propheten nichts Böses!“ (1. Chronik 16,21).
Schon Abraham hatte eine prophetisch-priesterliche Funktion. Wer Heil suchte, musste sich, so Gottes Anweisung an den Philisterkönig Abimelech, an Abraham wenden (1. Mose 20,7). Jesus selbst stellte fest: „Das Heil kommt von den Juden“ (Johannes 4,22). An Israel entscheidet sich Segen und Fluch bis hin zum letzten Gericht (Joel 4,1-2; Matthäus 25,40).
Der lebendige Gott hat sich das Volk Israel ausersehen, um der Menschheit sein Wort zu vermitteln. „Ihr seid meine Zeugen“, richtete der Prophet Jesaja (43,10) seinem Volk aus. Und: „Von Zion wird die Thora ausgehen und des Herrn Wort von Jerusalem!“ (Jesaja 2,3). Deshalb gehen auch die nichtjüdischen Völker hinauf zum Berg des Herrn.
Verworfen – und die Folgen
Israel ist „verflucht und von Christus getrennt“, stellte Paulus voller Trauer und Schmerzen im Blick auf sein eigenes Volk fest. Trotzdem beschrieb der Apostel einen atemberaubenden Reichtum derer, „die Israeliten sind“. Dazu gehört, was er in dem theologisch geladenen griechischen Begriff „nomothesia“ verpackt, wörtlich „Thoragebung“ (Römer 9,3-5). Allen Irrwegen und aller Rebellion zum Trotz bleibt das jüdische Volk der Kanal, durch den der lebendige Gott zur Menschheit spricht.
In Römer 11,11 formulierte Paulus aus Tarsus eine der Spitzenthesen seiner Israeltheologie: Das Heil im Messias Jeschua ist deshalb zu den Nichtjuden gekommen, weil das jüdische Volk seinen König abgelehnt hat. Luther hat übersetzt: „Durch ihren Fall ist den Heiden das Heil widerfahren“.
Gott hat seinem auserwählten Volk aus genau diesem Grund die Augen zugehalten, „damit sie nicht etwa sehen“. Er hat ihnen die Ohren zugehalten, „damit sie nicht etwa hören“ – „und mit dem Herzen verstehen und sich bekehren und ich ihnen helfe“. Das hatte Paulus, Schüler des berühmten Rabbiners Gamaliel, unmittelbar zuvor erklärt (Römer 11,1-10), mit Bezug auf die Apostellehre (zum Beispiel Johannes 12,37-40) und die Schrift (etwa Jesaja, die Kapitel 6, 29 und 53).
Warum Gott dies alles ausgerechnet so und nicht anders geführt hat, und ob er es nicht hätte auch anders tun können; was gewesen wäre, wenn Israel seinen Messias akzeptiert hätte, und ob das jüdische Volk sich hätte gegen die Verstockung seines Gottes wehren können – alle diese Fragen beantwortet der Apostel nicht. Überhaupt scheint der vom hebräischen Denken geprägte Paulus ein grundsätzliches Problem mit den Denkstrukturen gehabt zu haben, die sich heute hinter dem germanischen Konjunktiv verbergen. Das Hebräische der Bibel kennt gar keinen Konjunktiv.
Die Aussage ist einfach, direkt und unmissverständlich: Israel hat seinen Messias abgelehnt. Deshalb wurde er zum Retter der Völker.
Errettet – um zu provozieren
Jede Gabe Gottes trägt eine Aufgabe in sich. Das gilt auch, wenn der Erlöser Israels sich plötzlich um Nichtjuden kümmert, für diese sogar leidet, stirbt und nach drei Tagen den Tod besiegt. Wenn Israel fallen musste, „damit der Segen Abrahams unter die Heiden komme im Messias Jeschua und wir den verheißenen Geist empfingen durch den Glauben“ (Galater 3,14), dann erwächst daraus ein Auftrag, eine Verantwortung.
Paulus sagte das in Römer 11,11 (nach Luthers Übersetzung) so: „Den Heiden ist das Heil widerfahren, damit Israel ihnen nacheifern sollte.“ Im Kapitel zuvor hatte der Apostel bereits nachgewiesen, dass Israel nicht durch Predigt zum Glauben an seinen Messias kommt, sondern schon Mose war klar: „Ich will euch eifersüchtig machen auf ein Nicht-Volk; und über ein unverständiges Volk will ich euch zornig machen“ (Römer 10,19 mit Bezug auf 5. Mose 32,21). Weil er das verstanden hatte, war Paulus auch so glücklich darüber, Apostel der Heiden zu sein. Ziel seiner Heidenmission war, so schreibt er ausdrücklich den Nichtjuden in der christlichen Gemeinde zu Rom, „ob ich vielleicht meine Stammverwandten zum Nacheifern reizen und einige von ihnen retten könnte“ (Römer 11,13-14). Paulus sah also diesen Aussagen zufolge seine Heidenmission als Mittel zur Judenmission.
Israel zur Eifersucht zu reizen ist ein zentraler Auftrag der heidenchristlichen Gemeinde, wenn nicht gar – aus Sicht des Apostels Paulus – der eigentliche Auftrag der Jesus-gläubigen Nichtjuden weltweit. Ob wir als Nichtjuden einen Predigt- oder Lehrauftrag an Israel haben, kann diskutiert werden – nicht nur auf dem Hintergrund der finsteren christlichen Geschichte; nicht nur zwischen liberalen und konservativen Christen; sondern auch unter denen, die die Heilige Schrift uneingeschränkt als inspiriertes Gotteswort verstehen. Unumstritten klar ist aber nach biblischem Wortlaut, dass das Heil in Jesus zu den Nichtjuden gekommen ist, ausdrücklich zu dem Zweck, dass Israel auf die Heidenchristen eifersüchtig werden sollte. Berufung aller Heidenchristen ist, Israel zur Eifersucht zu reizen.
Zur Eifersucht reizen – warum eigentlich?
Paulus lässt die Frage nicht unbeantwortet, warum ihm Israel so wichtig ist, und weshalb so entscheidend ist, dass die nichtjüdischen Nachfolger des Messias Israels, ihre Verantwortung für das jüdische Volk erkennen. Mit Hilfe der alten rabbinischen Auslegungsmethode „Kal VaChomer“ schließt er ausgehend von Römer 11,11 im folgenden Vers 12, „vom Leichten auf das Schwere“, vom „Kleinen auf das Große“, vom „Einfachen auf das Komplizierte“: „Wenn aber schon ihr Fall Reichtum für die Welt ist und ihr Schade Reichtum für die Heiden, wie viel mehr wird es Reichtum sein, wenn ihre Zahl voll wird“.
In den darauffolgenden Versen 13 und 14 ruft er noch einmal ins Gedächtnis, dass das eifersüchtig-Machen des jüdischen Volkes so entscheidend wichtig ist, um dann in Vers 15 dasselbe wie in Vers 12 noch einmal mit anderen Worten zu sagen: „Wenn ihre Verwerfung die Versöhnung der Welt ist, was wird ihre Annahme anderes sein als Leben aus den Toten!“
Der Reichtum, den die Welt durch Israels Fall, durch Israels Schaden erlangt hat, ist die Erweckung, die Ausbreitung des Evangeliums, die wir in den zurückliegenden 2000 Jahren erlebt haben. „Mehr Reichtum“ wäre dieser Parallele in Römer 11,12 zufolge „mehr Erweckung“. In Römer 11,15 bezeichnet Paulus den „Fall Israels“ von Vers 11 und 12 als „ihre Verwerfung“ und sagt, dass diese „die Versöhnung der Welt“ bewirkt hat. Parallel zu Vers 12 folgert er daraus: „Was wird ihre Annahme anderes sein als Leben aus den Toten.“ Was aber ist dieses so wörtlich „Leben aus Toten“?
Der Begriff „Leben aus Toten“ kommt nur an dieser einen Stelle im Neuen Testament vor. Viele Ausleger behaupten, Paulus meine damit die „Auferstehung von den Toten“ und „datieren“ die „Annahme Israels“ deshalb auf die Wiederkunft von Jesus.
Paulus sagt aber nicht „Auferstehung“, obwohl er den griechischen Begriff dafür kennt und mehrfach verwendet. Die Parallele zu Vers 12 legt nahe, dass es um „mehr Reichtum“, das heißt, um „mehr Versöhnung“, um „mehr Erweckung“ geht. Tatsächlich gebraucht Paulus wenige Kapitel zuvor, in Römer 6,13, eine verblüffend ähnliche Formulierung, wenn er seine Leser auffordert: „Gebt euch selbst Gott hin als solche, die tot waren und nun lebendig sind“ (Luther 84). Wörtlich übersetzt schreibt Paulus: „Stellt euch Gott zur Verfügung als aus Toten Lebende“. Diese Anweisung des Apostels macht überhaupt keinen Sinn, wäre mit „Leben aus Toten“ Auferstehung gemeint.
Paulus zeigt in Römer 11, dass der geistliche Zustand der nichtjüdischen Welt direkt abhängig ist vom geistlichen Zustand Israels. Israel ist der Schlüssel zur Erweckung der Welt. Entscheidend ist nach Aussage des Apostels, dass die Heiden, die nichtjüdischen Nachfolger des Königs von Israel, des Messias Jeschua, ihre Verantwortung und Berufung für das jüdische Volk erkennen. Aus diesem Blickwinkel ist klar: Wenn wir eine Verantwortung für diese Welt haben, dann haben wir eine Verantwortung für Israel.
Zur Eifersucht reizen – ist das überhaupt möglich?
Bleibt die Frage: Wie reizen wir Israel zum Nacheifern? Wie machen wir das jüdische Volk eifersüchtig?
Darauf gibt es keine schnellen Antworten. Allerdings werden wir niemals irgendjemanden eifersüchtig machen, zu dem wir keine Beziehung haben. Und: Diese Beziehung lässt sich nicht, in welcher Form auch immer, an andere delegieren. Entscheidend ist sodann im Blick auf unsere Verantwortung für Israel nicht, was wir denken, ob wir theologisch richtigliegen oder mit unseren biblischen Einsichten Recht behalten werden. Einzig wichtig ist, was derjenige, der zur Eifersucht gereizt werden soll, spürt und wie er reagiert. Wenn ich meinen Herrn recht verstehe, ist weder meine Rechtgläubigkeit, noch mein theologischer Scharfsinn ausschlaggebend. Meine politische Ausgewogenheit zählt vor Ihm genauso wenig, wie die Frage, ob es mir gelungen ist, aus der Geschichte zu lernen, um Israel dann ein kritischer Freund gewesen zu sein. Die alles entscheidende Frage ist: Welche Früchte hat mein Leben gebracht? (vergleiche Matthäus 7,15-23).