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Am 13. August 2020 war aus Nordamerika zu hören, dass Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit Scheich Mohammed Bin Sajed Al Nahjan, dem Kronprinzen von Abu Dhabi und stellvertretenden Oberkommandeur der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), telefoniert habe.

In diesem Telefonat sollen die beiden Regierungschefs, so die amerikanische Verlautbarung[1], eine „umfassende Normalisierung der Beziehungen“ zwischen ihren beiden Ländern vereinbart haben. Verkündet wurde dieses Vorhaben von US-Präsident Donald J. Trump und seinem Beraterstab im Weißen Haus in Washington.

Der Preis der „Normalisierung“

„Israel [wird] seine Souveränitätserklärung über“ Teile des Westjordanlandes „aussetzen“, verspricht die Erklärung aus Washington. Liberale Beobachter sehen damit Israels Souveränität über Teile der Westbank vom Tisch, die Bautätigkeit in den Siedlungen eingestellt und die Zweistaatenlösung als einziges, verbleibendes Ziel. Siedler fühlen sich von Netanjahu hintergangen.

Die israelische Regierung scheint so einen Ausweg gefunden zu haben, die rechtliche Verantwortung für einen Großteil von Judäa und Samaria zu übernehmen – obwohl genau das von allen maßgeblichen Politikern und Parteien vor den letzten Parlamentswahlen versprochen, auf der internationalen Bühne groß angekündigt worden war, und in der westlichen Welt selbstverständlich heiß umstritten ist.

Tatsache bleibt, dass der Staat Israel seit mehr als fünfzig Jahren das entscheidende Sagen in den umstrittenen Gebieten zwischen Israel und Jordanien hat und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas mehrfach nur die „Drohung“ blieb, den Israelis auch die Last der Verantwortung in den seit fast zwei Jahrzehnten autonomen Palästinensergebieten vor die Füße zu werfen.

Eine Überraschung?

Anders als in früheren Abkommen mit arabischen Nachbarn gingen der Ankündigung dieses Friedensvertrags keine gründlichen Ausarbeitungen von Visaverträgen, Sicherheitsvereinbarungen oder Flugverbindungen voraus. Selbst Israels Sicherheitskabinett, seine Außen- und Verteidigungsminister erfuhren von Netanjahus Telefonat mit dem mächtigen Scheich durch die Verlautbarung aus Washington, möglicherweise erst aus den Medien.

Eine wirkliche Überraschung war die Ankündigung einer „Normalisierung“ der Beziehungen zwischen Israel und den VAE trotzdem nicht. Seit Jahren gibt es zwischen beiden Ländern ein Auf und Ab teils offener, teils verdeckter Beziehungen. Erste Fühler wurden beiderseits in den 1960er-Jahren ausgestreckt, auch wenn damals eher Geheimdienste als Politiker zugange waren. 2017 hat die Luftwaffe der VAE in Griechenland an einer Übung teilgenommen, an der auch die israelische Luftwaffe beteiligt war.

Seit Jahren gute Beziehungen

Aber es sind nicht nur die Beschäftigungsbereiche von Geheimdienstlern, Waffenhändlern und Militärs, in denen Israel und die VAE seit Jahrzehnten hervorragend kooperieren. Im Blick auf Landwirtschaft, Bewässerungs- und Cybertechnik sind Milliardenbeträge zwischen beiden Ländern hin und her geflossen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Netanjahu die Emirate besucht hat und „Interessenbüros“ auf beiden Seiten bestehen.

2017 bestieg ein 17-jähriger Israeli das Podest in Abu Dhabi mit einer Goldmedaille im Judo. Statt der „HaTikvah“ wurde damals noch die Hymne der Internationalen Judo-Vereinigung gespielt. Als im Oktober 2018 dasselbe noch einmal geschah, wurde im Beisein von Miri Regev, Israels Ministerin für Sport und Kultur, schon die israelische Nationalhymne gespielt.

Hunderte von Juden – manche Schätzungen reichen bis zu einer Zahl von 1.500 – leben in den Emiraten. Mittlerweile gibt es dort drei jüdische Gemeinden, von denen zwei orthodox sind. 2019 wurde Jehuda Sarna offiziell der Titel eines Oberrabbiners der VAE verliehen.

Die Vereinigten Arabischen Emirate…

Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sind ein Zusammenschluss von sieben Emiraten im Südosten der arabischen Halbinsel, unmittelbar am Persischen Golf gelegen: Abu Dhabi, Ajman, Dubai, Fudschairah, Ras Al Khaimah, Schardscha und Umm Al Quwain.

Nur zwölf Prozent der Menschen, die dort leben, sind tatsächlich „Emiratis“. Unter der arbeitenden Bevölkerung in den VAE stellen sie nur ein Prozent. „Ein ungeschriebenes soziales Gesetz macht eine zufällige Konversation mit Emiratis schwierig, wenn sie nicht schlicht unangemessen ist“, schreibt Michael Bassin[2], der als amerikanischer Jude Jahre in den VAE gelebt hat.

…eine Bedrohung für Israelis?

Unter Menschenrechtsaktivisten sind die VAE berüchtigt für das dort kompromisslos geltende Scharia-Recht, harte Kollektivstrafen, die Anwendung der Todesstrafe, und weil Gastarbeiter kaum Schutz genießen. Die britische Organisation „Verhaftet in Dubai“ („Detained in Dubai“) hat seit ihrer Gründung im Jahr 2008 mehr als 10.000 Menschen betreut, die mit dem rigorosen Rechtssystem der VAE in Konflikt geraten sind.

Man kann dort leicht ins Gefängnis geraten, warnt die amerikanisch-britische Juristin Radha Stirling. Der Grund dafür mögen „verdächtig“ viele Antidepressiva im Gepäck sein oder weil ein Geschäftsmann einen einheimischen Kollegen aus Versehen an der Hüfte berührt hat. Ungefähr die Hälfte der Klienten von „Verhaftet in Dubai“ sind Geschäftsleute, die mit ihren einheimischen Partnern in Konflikt geraten sind.

Nicht nur Regimekritik, schon ein ungedeckter Scheck, „anrüchige“ oder saloppe Bemerkungen, emotionale Ausbrüche einer betrogenen Ehefrau oder auch nur ein negatives Wort über einen Autovermieter in den sozialen Medien können rechtliche Folgen nach sich ziehen. Früher wurden Frauen verhaftet, die sich darüber beklagten, vergewaltigt worden zu sein.

Ein gemeinsamer Feind

Ein entscheidender Faktor für die Annäherung zwischen dem jüdischen Staat und den VAE ist die Bedrohung durch den Iran, einschließlich seiner nuklearen und hegemonialen Ambitionen. Teheran macht aus seinem Bestreben, den Staat Israel auszulöschen, kein Hehl. Zeitgleich führen die schiitischen Mullahs und ihre Verbündeten einen teilweise sehr blutigen Krieg gegen die sunnitischen Araber im Golf, der vor allem im Jemen ausgetragen wird. Weitab von der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit wird dort mit großer Grausamkeit und ohne jegliche rechtlich nachvollziehbare Maßstäbe gekämpft. Wiederholt wurden in der Meerenge von Hormus Öltanker von iranischen Schnellbooten festgesetzt oder zumindest attackiert.

Das Atomabkommen zwischen dem Westen und dem Iran im Jahr 2015 war nicht nur Jerusalem ein Dorn im Auge, sondern wurde auch von den Golfarabern heftig abgelehnt. 2016 machte Israels UNO-Botschafter Danny Danon eine Reise nach Dubai, in der es hauptsächlich um den Iran ging. Israels Raketenabwehrtechniken ebenso wie seine Cybertechnologie sind von großem Interesse für die arabischen Golfstaaten. In den vergangenen Jahren hat Israel mehrfach unter Beweis gestellt, dass es das einzige Land im Nahen Osten ist, das Willen und Fähigkeit besitzt sich der Bedrohung aus dem Iran zu stellen, die auch die größte strategische Bedrohung der VAE ist.

F-35-Zwickmühle

Unmittelbar nach der US-Verlautbarung vom 13. August wurden in Israel Befürchtungen laut, die USA könnten jetzt F-35 Tarnkappen-Jets an Abu Dhabi liefern. Verteidigungsminister Benny Gantz betonte umgehend, Israel werde seinen qualitativen militärischen Vorteil niemals für Frieden aufgeben. Netanjahu unterstrich, das Normalisierungsabkommen beinhalte keine Zustimmung Israels zu irgendwelchen Rüstungsgeschäften.

US-Außenminister Mike Pompeo bemühte sich am 24. August die Wogen zu glätten, als er im Büro des israelischen Premierministers beteuerte, die USA würden Wege finden, ihrem Verbündeten VAE zu helfen, ohne Israels militärischen Vorteil in der Region zu gefährden. Trumps Schwiegersohn und Sonderberater Jared Kushner hatte am Tag zuvor auf CNN gesagt, „dieses Abkommen erhöht die Wahrscheinlichkeit“, dass die VAE F-35-Jets bekommen.

Reaktionen…

…aus Israel

Israelische Juden und das weltweite Judentum zeigten sich spontan gleichermaßen begeistert. Netanjahu pries die Ankündigung des Friedensvertrages als „Beginn einer historischen Ära“.

Israels politische Rechte konterte: „Es ist Zeit für Netanjahu zu gehen.“ Und: „Wir müssen eine alternative Führungspersönlichkeit für ihn aufbauen.“ Siedler werfen Netanjahu vor, mit einem Land einen Friedensvertrag schließen zu wollen, mit dem Israel nie im Kriegszustand war.

…aus den Vereinigten Arabischen Emiraten

VAE-Außenminister Anwar Gargasch betonte einen Tag nach der Verlautbarung, das Ganze keineswegs nur eine symbolische Geste. Vielmehr wolle sein Land weitreichende bilaterale Beziehungen „sobald wie möglich“, besonders in den Bereichen Landwirtschaft, Nahrungssicherheit, Cybersicherheit, Tourismus, Technologie und Handel. Die Palästinenser forderte er auf, umgehend Friedensverhandlungen mit den Israelis aufzunehmen.

…von den Palästinensern

Die palästinensische Führung unter Mahmud Abbas waren vielleicht die einzigen „Spieler“ auf der Bühne des Nahen Ostens, die von der Verlautbarung Trumps komplett überrascht wurden. Spontan wetterte Abbas gegen einen „Verrat an Jerusalem, der Al-Aksa-Moschee und der palästinensischen Sache“ und berief seinen Botschafter, Issam Masalha, aus den VAE zurück.

Auf dem „Haram Asch-Scharif“, dem Tempelberg in Jerusalem, zerrissen und zertrampelten palästinensische Gottesdienstbesucher Bilder von Scheich Mohammed Bin Sajed. In Gaza, dem Westjordanland und palästinensischen Flüchtlingslagern im Libanon kam es zu Demonstrationen. Offiziell wird ein Abkommen zwischen Israel und den VAE als „Normalisierung ohne Gegenleistung“ von den Palästinensern vehement abgelehnt. Manche Fraktionen sprachen gar von einem „Messerstich in den Rücken“ durch einen arabischen Verbündeten, dem man vertraut habe.

Innerpalästinensische Querelen?

Möglicherweise ist der eigentliche Drahtzieher dieses „Messerstichs“ aber auch ein Mann aus den eigenen Reihen. Mohammed Dahlan war jahrelang der mächtige Sicherheitschef von Jasser Arafat im Gazastreifen, bevor er und seine Leute von dort gewaltsam vertrieben wurden. Die Mitglieder seines „Demokratischen Reformblocks“ wurden aus der Fatah ausgeschlossen. Lange Jahre hat Dahlan in den VAE verbracht und als Berater der Kronprinzen Mohammed Bin Sajed fungiert.

Dahlan hat ganz offensichtlich Ambitionen palästinensischer Präsident zu werden. Er hat Einfluss unter den Palästinensern und wird sowohl von Amerikanern, als auch von Israelis als einer der „sympathischeren“ Anwärter für diesen Posten gehandelt. Jetzt machen Gerüchte ganz offen die Runde, er sei einer der maßgeblichen Wegbereiter der israelisch-emiratischen Verständigung gewesen.

Wirtschaftliche Vorteile

Alle drei Länder, die an diesem „Normalisierungsabkommen“ beteiligt sind – die USA, Israel und die VAE – „erhoffen sich gemeinsame Vorteile“, besonders im Blick auf Investitionen, Tourismus, Direktflüge, Sicherheit, Telekommunikation, Technologie, Energie, Gesundheit, Kultur und Umweltschutz.

Aus israelischer Sicht ist ein autokratisches Regime mit tiefen Taschen, das schnelle, unbürokratische Entscheidungen über riesige Beträge treffen kann, wirtschaftlich von großem Interesse. Für manche israelische Geschäftsleute, die seit Jahren in den Emiraten zugange sind, könnte sich die Normalisierung aber auch als negativ erweisen. Jetzt kommen Geschäfte, die bislang hinter verschlossenen Türen und „unter dem Tisch“ getätigt werden konnten, ans Tageslicht.

Nach Ansicht von Radha Stirling von der Organisation „Verhaftet in Dubai“ gewinnen die VAE von einem Friedensvertrag viel mehr, als die Israelis. Stirling kritisiert das Abkommen mit dem demokratisch-freiheitlichen Israel, weil es hilft, die VAE zu rechtfertigen, und ihnen weitere Freiheiten gibt, Menschenrechte zu verletzen.

Tatsache ist: Vieles bleibt offen

Nachdem Trumps Traum wahr geworden ist und Israelis und Emiratis am 15. September 2020 vor dem Weißen Haus in Washington ein Normalisierungsabkommen unterzeichnet haben, sind jetzt ganz andere Fragen entscheidend, als die, die Israelis unmittelbar nach Bekanntwerden der Vereinbarung in Facebook und WhatsApp-Gruppen gestellt haben. Damals planten Israelis reichlich naiv ihre nächsten Familienferien in den Emiraten. Sie fragten sich: „Auf welchem Stockwerk des Burdsch Khalifa liegen unsere Zimmer?“ Und: „Müssen wir dort eine Burka tragen?“

Ist „Normalisierung“ „unmoralisch“?

Der jüdische Staat Israel hat bislang mit zwei arabischen Staaten Friedensverträge unterzeichnet: Im März 1979 mit Ägypten und im Oktober 1994 mit Jordanien. Beides sind, wie die VAE, totalitäre Regimes, die ihre Bevölkerung teilweise brutal unterdrücken. Von einer „Normalisierung“ kann in beiden Fällen kaum die Rede sein. Zu beachten ist auch, dass nicht erst der ägyptische Präsident Anwar El Sadat, sondern bereits Jordaniens König Abdallah I. seine pragmatische Offenheit gegenüber dem jüdischen Staat mit dem Leben bezahlt hat.

Was die Völker denken, die von diesen arabischen Regimes unterdrückt werden, kann man nur erahnen. „Normalisierung der Beziehungen mit dem jüdischen Staat Israel“ hat in der arabischen Welt einen unmoralischen Beiklang. Unter vorgehaltener Hand erklärte mir vor Jahren einmal ein Araber: „Es ist für mich einfacher zu sagen, dass meine Tochter Prostituierte ist, als zuzugeben, dass ich eine Normalisierung der Beziehungen mit Israel lebe.“

Werden weitere arabische Staaten dem Beispiel der VAE folgen?

Amerikaner wie Israelis haben enthusiastisch ihrer Hoffnung Ausdruck verliehen, „dass mehr arabische und islamische Staaten in naher Zukunft ihre Beziehungen zu Israel normalisieren werden“.

Im Oktober 2018 hatte Sultan Qabus von Oman Netanjahu zu einem Besuch eingeladen. Außer an Oman wäre bei einer baldigen Normalisierung eventuell noch an Bahrain, den Sudan, Marokko und vielleicht sogar Saudi Arabien zu denken. Immerhin hatte der saudische Kronprinz Mohammed Bin Salman wenige Wochen vor der Einladung des Sultan von Oman ein Tabu in der arabischen Welt gebrochen. Er gestand den Israelis öffentlich „ein Recht auf ihr eigenes Land“ zu.

Die Palästinenser bemühen sich, mit allen Mitteln zu verhindern, dass weitere arabische oder islamische Staaten dem Beispiel der VAE folgen. Als die US-Botschaft im Mai 2018 nach Jerusalem verlegt wurde, war es den Palästinensern noch gelungen, eine Notfallsitzung der Arabischen Liga einzuberufen. Dieses Mal nicht mehr.


[1] ‘Historic Diplomatic Breakthrough’: Read the Full Statement on Israel-UAE Agreement: https://www.haaretz.com/israel-news/historic-diplomatic-breakthrough-read-the-full-statement-on-israel-uae-agreement-1.9070792 (24.08.2020).

[2] Michael Bassin, What Emiratis are like: Insights from a Jew who lived among them (AUG 18, 2020, 3:53 PM): https://blogs.timesofisrael.com/what-emiratis-are-like-insights-from-a-jew-who-lived-among-them/ (26.08.2020).

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By Published On: August 28, 202010,6 min read

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