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Das „und“, mit dem der letzte Vers von Psalm 87 eingeleitet wird, bedeutet so viel wie „Sieh da!“[1] oder „Seht mal!“: Seht, sie singen im Tanz, wie Flötenspieler:

Zum Abschluss malt der Psalmist das Bild einer ausgelassenen Festszene. Die Menschen, die daran beteiligt sind, singen und tanzen, freuen sich und toben.

Dabei beinhaltet das zweite Wort „חֹלְלִים/cholelim“ nicht nur das Drehen und Wirbeln des Tanzes, sondern vom Wortstamm her auch die „Flöte“ oder „Pfeife“ (חָלִיל/chalil). Deshalb hört Mezudat David[2] ein ganzes Orchester: Geigen und Harfen (כִנּוֹר/kinor), Zimbeln (נֶבֶל/nevel) und Pauken (תֹּף/tof). Als Beleg dafür verweist Rabbi Altschuler auf Jesaja 5,12: „Sie haben Harfe und Zither, Pauke und Pfeife und Wein bei ihren Festgelagen…“

Ein legitimer Grund für ausgelassenes Feiern

Doch während der Prophet Jesaja das Volk Israel kritisiert „…das Wirken des Herrn haben sie nicht im Blick, das Tun seiner Hände sehen sie nicht“, weshalb dort das Gelage des Volkes letztendlich die Trennung vom Land und Verderben bringt, erkennt Radak[3] hier in Psalm 87: „Alle singen dein Lob.“ Deshalb entschließt er sich: „Dann will ich das ebenfalls tun!“ – denn die Botschaft dieses Festes ist: „Alle meine Quellen sind in dir!“

„Alle Quellen meines Herzens, denn mein Herz, sein Ursprung, sprudelt für dich Lieder“, paraphrasiert Radak diese Stelle, „wie ein Brunnen frisches Wasser sprudelt, Stunde für Stunde!“ Und Malbim[4] ergänzt: „Alle Quellen des Heils sind in dir. Du Zion, bist der Ursprung, aus dir strömen alle jene Quellen.“

Sprudeln für den Herrn

Amos Chacham[5] erklärt[6]: „Ich will weder Thora lehren, noch Disziplin oder auch nur Lebensweisheiten, wenn dies nicht von den Weisen und Propheten Zions her geschieht.“ Denn „alle meine Hoffnung auf und Erwartung des Heils ist ausgerichtet auf den Herrn, der in Zion wohnt.“ Deshalb „beschäftigen sich alle meine Gedanken ausschließlich mit Dir, Zion“ – wie schon Mezudat David vom hebräischen Wortstamm her sieht: „Mein ganzer Fokus, alle meine Gedanken [sind] in dir!“

Dem schließt sich der mitteldeutsche christliche Bibelausleger Karl August Dächsel (1818-1901) an. Mit Verweis auf Jesaja 12,3 meint er: „Alle meine (Heils)Quellen sind in dir“ – denn „von dir allein habe ich mein geistliches Leben empfangen“.[7] Diese letzte Behauptung begründet er mit Johannes 4,22, wo Jesus gegenüber der Samariterin am Jakobsbrunnen unterstreicht: „Das Heil ist von den Juden!“

Interessant ist dabei der Kontext (Johannes 4), in dem Jesus diese Aussage macht: Die „Frau aus Samaria“ kommt „um Wasser zu schöpfen“. Jesus lenkt das Gespräch auf das Wasser, den Durst, indem er die Samariterin bittet: „Gib mir zu trinken!“ (Vers 7), um schließlich zu der Aussage zu kommen: „Jeder, der von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen. Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird keinen Durst mehr erfahren in Ewigkeit. Vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, eine Quelle von Wasser werden, das in ewiges Leben strömt“ (Vers 13-14).

Der Wasserstrom vom Zion

„Quellen sind Wasserquellen“, hält der Malbim allen allegorischen Erklärungen zum Trotz am wörtlichen Sinn des Textes fest. Doch angesichts der natürlichen geographischen und geologischen Gegebenheiten in Jerusalem ist diese Aussage vollkommen widersinnig. Jerusalem hat alles zu bieten, nur kein Wasser, und schon gar keine Quellen, im besten Fall vielleicht Zisternen. Natürlich gibt es die Gihonquelle im Kidrontal. Aber die hatte schon in der Antike kaum für eine kleine Stadt und Festung zur Versorgung gereicht.

Doch aller Realität zum Trotz sehen alle Visionen der Zukunft Jerusalems einen Wasserstrom vom Zion ausgehen.[8] Dieser Strom erinnert an die Ströme, die einst den Garten Eden bewässert haben (1. Mose 2,10-13). Damit erweist sich der Schöpfer des Universums wieder einmal als der מַגִּיד מֵרֵאשִׁית אַחֲרִית/Magid MeReschit Acharit (Jesaja 46,10), als derjenige, der vom Anfang her das Ende erklärt.

 

Die gesamte Artikelserie über Psalm 87 können Sie nachlesen, wenn Sie auf unserer Webseite auf die Seite „[alle] Artikel“ gehen und dort direkt unter der Seitenüberschrift „Artikel“ auf die Kategorie „Zion in den Psalmen“ klicken.

 

Fußnoten:

[1] עמוס חכם, ספר תהלים, ספרים ג-ה, מזמורים עג-קן (ירושלים: הוצאת מוסד הרב קוק, הדפסה שישית תש”ן/1990), קכו.

[2] Ein Bibelkommentar von David Altschuler, der im 18. Jahrhundert in Jaworow in Galizien lebte. Während seine Auslegung Mezudat Zion einzelne Worte erklärt, beleuchtet Mezudat David die Bedeutung des Texts.

[3] Rabbi David Ben Josef Kimchi (1160-1235) war der Erste unter den großen Schriftauslegern und Grammatikern der hebräischen Sprache. Er wurde im südfranzösischen Narbonne geboren. Sein Vater starb früh, so dass David von seinem Bruder Mosche Kimchi erzogen wurde. Radak erlaubte philosophische Studien nur denjenigen, deren Glaube an Gott und Furcht des Himmels gefestigt sind. Öffentlich setzte er sich mit Christen auseinander und griff vor allem deren allegorische Schriftauslegung und die theologische Behauptung an, das „wahre Israel“ zu sein.

[4] Meir Leibusch Ben Jechiel Michael Weiser (1809-1879) stammte aus der Ukraine und wirkte als Rabbiner, Talmudist, Bibelausleger und Prediger. Während seiner Zeit als Rabbiner in Kempen, Posen, (1845-1859) erhielt er den Beinamen „Kempner Maggid“. Als unerbittlicher Gegner der Reformbewegung und der jüdischen Aufklärung geriet der Malbim in Konflikt mit jüdischen wie nichtjüdischen Instanzen, wurde verleumdet und verhaftet. Er amtierte als Oberrabbiner von Rumänien, Königsberg und Mecklenburg. Seine Bibelauslegung konzentriert sich auf die „Tiefe der Sprache“ und die „grundlegende Bedeutung des Textes“ „basierend auf genauen linguistischen Regeln“.

[5] (1921-2012) wurde in Israel bekannt als Gewinner des ersten israelischen und weltweiten Bibelquiz. Sein behinderter Vater, Noach Chacham, war ein jüdischer Bibellehrer, der 1913 von Wien nach Jerusalem übergesiedelt war. Er hatte den einzigen Sohn aus Angst vor einem Sprachfehler nicht an eine öffentliche Schule geschickt, sondern in äußerst ärmlichen Verhältnissen selbst ausgebildet. Das Bibelquiz im August 1958 offenbarte sein Genie und begründete seine legendäre Laufbahn als Schriftausleger. Seine Auslegungen liegen mir nur in hebräischer Sprache vor.

[6] עמוס חכם, ספר תהלים, ספרים ג-ה, מזמורים עג-קן (ירושלים: הוצאת מוסד הרב קוק, הדפסה שישית תש”ן/1990), קכו.

[7] August Dächsel, Hg., Das Alte Testament mit in den Text eingeschalteter Auslegung, ausführlichen Inhaltsangaben und erläuternden Bemerkungen, Band 3. II/1: Lehr- und prophetische Bücher (Leipzig: Verlag von Justus Naumann, 2. Auflage 1876), 313.

[8] Hesekiel 47,1-12; Sacharja 14,8; Offenbarung 22,1-2.

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By Published On: September 23, 20215 min read

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