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Liebe Leser,
manche von Ihnen haben sich über die letzte Ausgabe geärgert, weil wir Ihnen das Denken und Fühlen von Palästinensern kommentarlos weitergegeben haben. Mir wurde vorgeworfen, ich hätte mich zum Sprachrohr palästinensischer Propaganda machen lassen. Andere bezeichneten es als „ungeheuerliche historische Verklitterung“ „die Naqba“ – die „Katastrophe“ der Palästinenser – „als eine Folge von Gerüchten“ hinzustellen.
Zuerst einmal habe ich mich über die Reaktionen gefreut. Wenn widersprochen wird, zeigt das, dass wir wache Leser haben. Auch wenn wir im Israelreport keine Leserbriefdiskussionen abdrucken, so wird doch jedes Ihrer Schreiben von uns wahrgenommen. Sie haben Einfluss! Ich wünsche mir, dass in dem großen Kreis derer, die zum Israelreport beitragen – sei es durch Schreiben und Recherchieren, sei es durch Kritik und Reaktionen oder auch durch Gebete und Spenden – noch viele angeregte Gespräche entstehen.
Im letzten Israelreport-Editorial habe ich betont, dass unser Vorbild im Journalismus die Bibel sein soll. Während ich diese Zeilen schreibe, bereite ich mich auf eine Predigt in unserer Gemeinde vor. Der Text ist Markus 1,40-45, „die Heilung des Aussätzigen“. Jesus verbietet dem geheilten Aussätzigen, anderen davon zu erzählen, was er erfahren hat (v.44). Trotzdem geht der Mann hin und fängt an, „viel davon zu reden und die Geschichte bekannt zu machen“ (v.45). War das nun richtig oder falsch, was dieser Mann gemacht hat?
Immerhin hat er eklatant gegen ein eindeutiges Gebot Jesu, das ihm ganz konkret und persönlich gegeben war, verstoßen. Aber die Schrift verurteilt ihn nicht. Hat Jesus ihm dann das Schweigegebot gegeben, um ihn durch das Verbot erst recht zum Reden anzuspornen? Das ist mir schwer vorstellbar! Die Bibel berichtet einfach, was geschehen ist, und wie sich die Situation entwickelt hat. Nicht nur an dieser Stelle bleibt sie uns eine eindeutige Wertung schuldig.
Ich glaube, dass auch diese Tatsache, dass die Bibel eben kein plattes Gesetzeswerk ist, das blinden Gehorsam fordert, inspiriert ist. Die Heilige Schrift ist darauf angelegt, dass ihre Leser nachdenken, fragen, miteinander diskutieren – um dann darüber zu sinnen und zu beten. Übrigens: Die jüdische Tradition und Kultur hat das in ausgezeichneter Weise in die Praxis umgesetzt!
Wenn wir Ihnen nun im Israelreport meist nur Fakten, Beobachtungen und Entwicklungen vorsetzen, ohne diese unmittelbar zu kommentieren, dann nicht deshalb, weil das gerade „in“ wäre. Zum einen möchte ich persönlich dem biblischen Beispiel folgen und zuerst einmal „nur“ berichten, was ich wahrnehme – so arbeiten, wie das der Arzt Lukas getan hat (siehe Lukas 1,1ff). Zweitens glaube ich, dass auch unser Wissen „Stückwerk“ ist. Erst durch das Gespräch und Gebet in der „Gemeinde“ soll eine Wertung entstehen – vielleicht viel behutsamer, als das in der Vergangenheit geschehen ist. Und schließlich bin ich davon überzeugt, dass unser Vater im Himmel wirklich der Herr der Geschichte ist, der sich durch das, was Journalisten berichten, „erweisen“ wird, ob wir das wollen oder nicht.
Wie wichtig es ist, sich der Realität zu stellen, die eigenen Klischees und Vorurteile in Frage stellen zu lassen, ist mir jetzt Ende Juli wieder neu deutlich geworden. Auf den Spuren der UN-Friedenstruppen war ich auf einer Recherchenreise im Libanon und in Syrien. Mehrere Tage nahmen mich die Soldaten in ihre Welt und ihre Aufgaben mit hinein. Je besser ich diese Leute aus Indien und Österreich, Japan und Polen kennen lernte, desto mehr habe ich mich für so manche meiner vorschnellen Aussagen in der Vergangenheit über die „UN“ als „Unwanted Nobodies“ (= „Unbeliebte Nichtse“ – so ein Autoaufkleber in Israel) geschämt. Es ist eine Sache, in der Sicherheit deutscher Vortragssäle große Sprüche zu klopfen – eine andere, Auge in Auge mit der Hisbollah zu stehen und dabei als Soldat einen Auftrag erfüllen zu müssen.
Lassen Sie uns auch weiterhin um die Fakten ringen und dann gemeinsam um das rechte Verständnis und vor allem auch, wie wir auf rechte Weise in unserem Umfeld Stellung beziehen.
Mit einem herzlichen Schalom grüße ich Sie aus Jerusalem,
Ihr Johannes Gerloff