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Liebe Leser,
„Wenn alles ruhig ist, arbeiten wir am härtesten“, erklärte mir vor ein paar Jahren der Mitarbeiter eines Geheimdienstes. Nicht selten trügt der Augenschein. Was offiziell in den Medien diskutiert wird, ist Spekulation, während hinter den Kulissen Entscheidendes passiert. Das wird oft erst im Rückblick erkennbar – wenn wir uns die Reflexion in der Hektik und Geschwindigkeit unserer heutigen Zeit überhaupt noch erlauben können.
Schlachten werden heutzutage nicht mehr mit Panzern und durch Flächenbombardements ausgetragen, sondern durch Geheimagenten, gezielte Tötung von Experten, als „Cyberwarfare“ im Internet, durch Guerillaoperationen oder Sabotage. Klar definierbare Staaten stehen kaum greifbaren, aber deshalb militärisch nicht weniger effektiven Organisationen gegenüber. Nicht neu, aber für eine Einschätzung der Lage wichtig ist, dass sich Kriegsparteien durch Stellvertreter auf dem Schlachtfeld vertreten lassen – in manchen Fällen wissen das die Kämpfenden nicht einmal.
Unsere Wahrnehmungsmöglichkeit und Erkenntnisfähigkeit sind stark eingeschränkt. Die Bilder, die uns täglich erreichen, können nicht nur gefälscht sein (und werden immer wieder gefälscht!), sondern sind oft genauso aussageschwach und inhaltsleer, wie beeindruckend und atemberaubend. Der Eindruck einer ausgebombten Straßenschlucht oder zerfetzten Kinderleiche ist nur schwer aus dem Gedächtnis zu löschen – aber schlicht unbrauchbar für eine nüchterne Einschätzung der Lage.
Entscheidend ist, dass wir unsere eigenen Wünsche, Träume, Prägungen und Werte klar erkennen, sowie um die Interessen unserer Regierungen wissen. Ziel eines Blicks in den Spiegel ist nicht nur, dass wir all das überprüfen und uns fragen, ob wir wirklich wollen, was unsererseits unterstützt wird – sondern auch ein Bewusstsein dafür, dass nicht automatisch jeder so denkt, fühlt und wünscht, wie wir das tun. Der so genannte „Arabische Frühling“ hat jetzt schon deutlich gemacht, dass die Befürworter von Menschenrechten, Demokratie und der Art von Freiheit, die wir in der westlichen Welt kennen, nicht überall die Stimmenmehrheit bekommen, selbst wenn frei und fair gewählt wird.
Muslime erwarten eine Weltherrschaft des Islam und streben diese nicht selten mit allen zur Verfügung stehenden und wirksam erscheinenden Mitteln an. Ein souveräner jüdischer Staat ist im Rahmen einer islamischen Weltordnung nicht vorgesehen. Christen und Juden haben ein vorläufiges, aber vorübergehendes Existenzrecht. Der Spagat zwischen dem Wunsch in der Welt anerkannt zu sein und eine wahrhaft islamische Ordnung aufzubauen wird noch manche Blüte treiben – wie etwa den Brief des ägyptischen Präsidenten Mohammad Mursi an seinen israelischen Amtskollegen Schimon Peres, über den man sich in Israel sehr gefreut hat, den es aber aus ägyptischer Sicht nie hätte geben dürfen.
Für einen klaren Blick und langfristig tragfähige Einschätzungen ist entscheidend, dass wir die Denkweisen der Konfliktpartner kennen und uns von unseren eigenen Stereotypen verabschieden. Das gilt nicht nur für die arabische Welt, sondern auch im Blick auf Israel. Wir wollen weiterhin miteinander und im Gespräch kritisch prüfen und hinterfragen, was uns an Informationen erreicht, um uns anhand von klaren Maßstäben eine Meinung zu bilden.
Mit herzlichem Gruß,
Ihr Johannes Gerloff