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Terrorismusexperten und Konflikttheoretiker unterscheiden bei einer Streitmacht oder Terrorgruppe zwischen Fähigkeiten und Motivation. Um einen Terroranschlag ausüben zu können, braucht man beides, die Fähigkeit Schaden anzurichten, das technische Know-How, um eine Bombe zu basteln, und gleichzeitig die Motivation, ein Messer, eine Axt, ein Auto oder einen Sprengsatz als Terrorwaffe in Einsatz zu bringen. Fehlt eines von beiden, die Fähigkeit oder die Motivation, kann ein Terroranschlag nicht zustande kommen.

„Mit den Fähigkeiten unserer Gegner kommen wir zurande“, erklärte mir einmal ein israelischer Akademiker, der sich auf die Erforschung des Terrorismus spezialisiert hatte, „aber an ihre Motivation kommen wir nicht heran. Oftmals verstärken wir die Motivation, Terror gegen uns auszuüben, durch unsere Maßnahmen terroristischen Fähigkeiten einzuschränken.“

Welche Anzahl von Raketen wie viele Häuser zerstört haben; wie viele Bomben welche Menschen verkrüppelt haben; welche Strategien wie erfolgreich waren und durch welche Taktik wer überlistet wurde, hilft kaum Zusammenhänge zu begreifen. Ich würde gerne verstehen, was Menschen motiviert zu Terroristen zu werden – auch wenn das zuallererst sie selbst und ihre Lieben zerstört oder verkrüppelt, während gleichzeitig ihre Ziele, die sie sich im Blick auf ihre Gegner stecken, in immer unerreichbarere Ferne rücken.

Fast peinlich

„In der Endzeit wird uns sogar die Natur helfen“, erzählte mir schon vor vielen Jahren ein Palästinenser: „Wir werden alle Juden vernichten!“ – Das Ganze mutete mich so kindisch an, dass ich darüber eigentlich nie schreiben wollte.

Aber dann meldete sich am 9. Januar 2012 der Großmufti von Jerusalem zu Wort. Was er zu sagen hatte, wurde im offiziellen Fernsehen der Palästinensischen Autonomie übertragen. Scheich Muhammad Ahmad Hussein war im Juli 2006 von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas als geistliches Oberhaupt aller Muslime in Israel und der Palästinensischen Autonomie eingesetzt worden. Was er am 47. Jahrestag der Gründung der Fatah zu sagen hatte, kann bis heute jeder im Internet anhören.[1]

 

Mit der Autorität des Großmufti von Jerusalem

Dabei ist im Hinterkopf zu behalten, dass Mahmoud Abbas, gemeinhin „Abu Masen“ genannt, als „gesprächsbereit“ gilt, ausdrücklich im Gegensatz zum „Hardliner“ Netanjahu. Und die Fatah ist das Rückgrat der Palästinensischen Autonomiebehörde, die sich gegenüber dem westlichen Ausland explizit als säkular darstellt, im Gegensatz zur „islamistischen“ Hamas.

Großmufti Muhammad Hussein verkündete: „Palästina in seiner Gesamtheit ist eine Revolution seit [Kalif] Umar [im Jahr 637 nach Christus Jerusalem erobert hat] bis heute und bis an das Ende der Tage.“ Der Großmufti unterstrich die Zuverlässigkeit der Hadith[2], um sie dann zu zitieren:

„Die Stunde [der Auferstehung] wird nicht kommen, bis ihr die Juden bekämpft. Die Juden werden sich hinter Steinen und Bäumen verstecken. Die Steine und Bäume werden rufen: ‚Oh Muslim, Knecht Allahs, da ist ein Jude hinter mir, komm und töten ihn!‘ Außer dem Gharqad-Baum [der schweigen wird].“

Diese Hadith wird auch in der Hamas-Charta[3] vom 18. August 1988 zitiert, in Artikel 7 unter der Überschrift „Die Universalität der Islamischen Widerstandsbewegung“.

Pflanzen Siedler „Gharqad“-Bäume?

„Deshalb“, so erklärte der höchste geistliche Vertreter der Palästinensischen Autonomiebehörde beim Fatah-Jubiläum im Januar 2012 allen Ernstes, „ist es kein Wunder, dass Ihr heute rund um die [israelischen] Siedlungen und Kolonien Gharqad [Bäume] seht.“

Im Laufe der Jahre habe ich in unzähligen Begegnungen festgestellt, dass die meisten arabischen Muslime sofort wissen, um was es geht, wenn man sie nach dem „Gharqad“ fragt. Selbst auf den Gesichtern offensichtlich analphabetischer Beduinen erscheint spontan ein süffisantes Lächeln als Antwort, das offensichtlich nicht aufgrund meiner Schwierigkeit entspringt, den ersten Buchstaben „gh“ – ein gutturales „r“ – auszusprechen.

Das Internet bietet eine immer größer werdende Auswahl an Artikeln zum „Gharqad“, wobei nicht selten die Behauptung wiederholt wird, Juden pflanzten diese Bäume in den besetzen Gebieten, weil sie wissen, dass der Islam Recht hat und die gewaltsame Konfrontation zwischen Juden und Muslimen unausweichlich sei.

Ist das Massaker unvermeidbar?

Fromme Muslime sind fest davon überzeugt, dass das Endzeitmassaker nicht vermieden werden kann. Liberale, freundliche, diplomatische oder dialogbereite Muslime, geben sich alle Mühe diese Aussagen als Fälschungen in Teilen der Hadithe zu erklären, was dann zu Missverständnissen geführt habe. Andere meinen, man dürfe aus dieser Erzählung keine rechtlich bindenden Anweisungen ableiten. Es handle sich um eine Beschreibung, keine Vorschrift.

Mir persönlich wurde von muslimischen Freunden erklärt, derartige Aussagen richteten sich nur gegen diejenigen Nichtmuslime, die sich hartnäckig dem einen, wahren Gott widersetzten oder einem Lügen-Messias, dem Antichristen, anhängen. Der Koran gebe sich zudem große Mühe zwischen gerechten und sündigen Juden zu unterscheiden.

Was ist ein „Gharqad“?

Lustig wird es, wenn sich ein interessierter YouTuber auf den Weg macht, um Juden und Israelis zu fragen, ob sie den „Gharqad“ kennen und vielleicht sogar pflanzen.[4] Aber selbst in israelischen Gärtnereien kennt keiner den „Judenbaum“.

Mein eigenes jahrelanges Fragen erbrachte selbst von Experten der Botanik, der Flora des Heiligen Landes und der in antiken heiligen Büchern erwähnten Pflanzen keine wirklich befriedigende Antwort. Die Mehrheit scheint sich heute auf ein stacheliges, salzhaltiges Gestrüpp festgelegt zu haben, das auf Hebräisch יַמְלוּחַ/Jamluach heißt und den lateinischen Namen „Nitraria retusa“ trägt.

Entscheidend für die Frage nach Motivation und Auslöser des immer wieder in Krieg ausbrechenden Konflikts zwischen radikalen Muslimen und dem jüdischen Staat Israel ist allerdings, dass sich solche Narrative offensichtlich immer weiter ausbreiten und hartnäckig allen Rationalisierungsbemühungen widersetzen.

Es ist entscheidend, sie vor Augen zu haben, wenn wir verstehen wollen, wie Hamas-Chef Yahya Sinwar nur wenige Tage nach Israels zerstörerischer Militärkampagne im Frühjahr 2021 öffentlich erklären, „Israel muss mit mehr Gewalt rechnen“, von „10.000 Märtyrern“ reden und sich gleichzeitig immer noch frei unter der Bevölkerung von Gaza bewegen kann, die so sehr unter diesem scheinbar nicht enden wollenden und zunehmend grausamen Krieg leidet.

[1] “PA Mufti: Muslims will exterminate Jews (long version)”: https://youtu.be/sHhG1IyfqXg (26.05.2021).

[2] Die Hadithe (Plural, Singular: Hadith) sind eine Sammlung von Überlieferungen, Aussprüchen und Handlungen des Propheten Mohammed und seiner Weggefährten. Die Bedeutung der Hadithe ergibt sich daraus, dass die Handlungsweise (Sunna) Mohammeds neben dem Koran normativen Charakter haben.

[3] Eine englische Übersetzung ist unter https://avalon.law.yale.edu/20th_century/hamas.asp (26.05.2021), eine deutsche Übersetzung unter https://www.kritiknetz.de/images/stories/texte/charta%20der%20hamas.pdf (26.05.2021) zu finden.

[4] “Israelis: Are you planting the Gharqad tree?”: https://youtu.be/kJaBZ2v-LcE (26.05.2021).

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By Published On: Mai 26, 20215,5 min read

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