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Der Nahe Osten ist eine gefährliche Gegend, voller Gewalt und Radikalismus. Daran hat sich nach Beobachtung von Dan Schueftan im zurückliegenden halben Jahrhundert nichts geändert. Was sich – im Widerspruch zur gefühlten Wahrnehmung vieler Menschen – allerdings geändert hat: Vor fünfzig Jahren waren die Radikalen im Nahen Osten viel gefährlicher.
Der Grund dafür ist, dass sie von Staaten unterstützt wurden, allen voran vom ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser. Nasser war damals in der Lage, die gesamte arabische Welt zu mobilisieren. Die ganze Region habe unter einem radikalen Diktat gestanden. Zudem habe Nasser nicht nur sein Land und dessen Umgebung verändern wollen, sondern die globale Machtbalance.
Brilliant einprägsam erklärt der israelische Historiker, was den ägyptischen Präsidenten in den 1950er- und 1960er-Jahren getrieben hat, wie er sich beide Supermächte im Kalten Krieg zunutze machte: „Die Sowjets haben Nasser unterstützt, weil das gut für sie war. Die Amerikaner unterstützten ihn, weil sie dumm waren.“
Nach dem Sechstagekrieg beantworteten die Araber das israelische Verhandlungsangebot mit den „drei kategorischen Nein“ von Khartoum: Nein zur Anerkennung Israels. Nein zu Verhandlungen mit Israel. Nein zu einem Frieden mit Israel. „Eigentlich wollten die Israelis die Eroberungen von 1967 gegen die Errungenschaften von 1948 eintauschen“, interpretiert Schueftan, der auch Dozent am Nationalen Verteidigungs-College der israelischen Armee ist, die Absichten der Politiker seines Landes nach dem Sechstagekrieg.
Den Arabern unter Führung Nassers ging es dagegen auf der Konferenz von Khartoum, die am 1. September 1967 zu Ende ging, nur darum, die israelische Strategie zu durchkreuzen. Doch alle Bemühungen des ägyptischen Diktators, die Großmächte gegeneinander auszuspielen, seien gescheitert. Letztendlich ist Gamal Abdel Nasser an einem gebrochenen Herzen gestorben, davon ist Schueftan überzeugt. Mit allen Projekten, die er in Angriff genommen hat, habe er in jeder Hinsicht auf demütigende Art und Weise versagt.
Nassers Nachfolger Anwar el-Sadat setzte völlig neue Akzente. Früher als viele andere, analysiert Schueftan, der als Direktor das Zentrums für nationale Sicherheitsstudien an der Universität Haifa leitet, habe Sadat erkannt, dass es nur eine Supermacht gebe, nicht zwei. Um die Seiten von der Sowjetunion zu den USA ohne Gesichtsverlust wechseln zu können, hätte er zuerst den Amerikanern zeigen müssen, wie sehr er ihnen schaden könne, um ihnen dann klar zu machen, wie wertvoll seine Hilfe sei. „Und genau das hat er getan“, meint Professor Schueftan im Blick auf die Entwicklungen der ägyptisch-israelischen Beziehungen, die nach 1967 zuerst zum Jom-Kippur-Krieg führten, dann aber zum Friedensschluss von Camp David.
Geschickt habe Sadat, so Schueftan, den Amerikanern Ägypten, das „Kronjuwel“ sowjetischer Nahostpolitik, präsentiert und damit das Verhältnis zwischen Israel und der gesamten arabischen Welt entscheidend verändert. Schueftan ist im Rückblick überzeugt: Wir hatten seit 1973 keinen Krieg mehr, weil der dominierende Staat in der sunnitischen Welt nicht mehr radikal ist. Das rechtfertigt aus seiner Sicht den Preis von Camp David. Auch die lange Ruhe mit dem extremsten Regime der vergangenen Jahrzehnte, Syrien, sei letztlich dem Friedensschluss mit Ägypten zu verdanken. Die Syrer hätten sich einfach nicht getraut, Israel anzugreifen, solange von Seiten Ägyptens keinerlei Unterstützung in Aussicht stand.
Heute hätten die Ägypter „innige“ Beziehungen zu Israel. „Sisi hat bis vor Kurzem nur zwei Personen auf der Welt vertraut“, illustriert Schueftan seine Behauptung im Blick auf den heutigen ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah el-Sisi: „Seiner Mutter und Amos Gilad. Dann ist seine Mutter gestorben…“ Amos Gilad ist Generalmajor d.R. und hat im Laufe der Jahre eine ganze Reihe hoher Positionen im Sicherheitsapparat des jüdischen Staates bekleidet. In mancher Hinsicht ist er die „graue Eminenz“, die im Auftrag ihrer Regierung unter dem Radar Kontakte zu allen möglichen arabischen Nachbarn Israels pflegt.
Tatsächlich sehen Israel, Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien heute nicht nur eine lange Liste gemeinsamer Interessen, sondern auch einen gemeinsamen Feind: Den schiitischen Iran, der sowohl im Norden über den Irak, Syrien und den Libanon, als auch über den furchtbar blutigen Krieg im Süden der Arabischen Halbinsel seinen Einflussbereich auszuweiten sucht.
Während Professor Dan Schueftan das Verhältnis zwischen Israel und seinen sunnitischen Nachbarstaaten durchweg positiv bewertet, ist er im Blick auf die Stimmung in der arabischen Bevölkerung um Israel herum eher zurückhaltend: „Die arabische Straße war radikal, ist radikal, wird in der vorhersehbaren Zukunft radikal bleiben und radikale Elemente unterstützen.“
Den Grund dafür sieht der Historiker in einem tiefsitzenden Komplex: Die Araber hätten den Verlust ihrer glorreichen Vergangenheit nicht verkraftet. Anders als etwa die Chinesen schafften sie es auch nicht, langfristig und gezielt an einer Zukunft zu arbeiten. „Die Araber haben das vergangene Jahrhundert vergeudet.“
„Man findet heute Leute, die Araber mögen, Leute, denen die Araber leidtun, Leute, die Araber fürchten – aber man findet kaum jemanden, der Araber ehrt und respektiert.“ Das ist im Blick darauf, welchen Wert die Ehre in der arabischen Gesellschaft darstellt, eine fatale Aussage. Schueftan wirft der arabischen Gesellschaft vor, keine eigene Verantwortung für die Fehlentwicklungen in der Region erkennen und wahrnehmen zu wollen. Stattdessen suche man Erklärungen und Ausflüchte für die Misere – und schiebe sie pauschal den Juden in die Schuhe. Führungspersönlichkeiten mit Vision und Format könnten sich deshalb nur diktatorisch durchsetzen.