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Der 9. November ist ein schicksalsträchtiges Datum für Deutschland. Am 9. November 1918 beendete die Novemberrevolution die Herrschaft des deutschen Kaisers. 1848 war der deutsche demokratische Politiker, Revolutionär und Antisemitismuskritiker Robert Blum an diesem Tag ermordet worden. 1923 versuchten die NSDAP und Adolf Hitler sich an diesem Datum erstmals an die Macht zu putschen. 1989 fiel die Öffnung der Mauer, die Deutschland vier Jahrzehnte lang geteilt hatte, auf den 9. November.

Zum Nationalfeiertag Deutschlands wurde der 9. November vor allem deshalb nicht, weil am 9. November 1938 die so genannte „Reichskristallnacht“ als eines der schwärzesten Daten in die Annalen der deutschen Geschichte einging.

Der Jerusalemer Professor Meier Schwarz hat sich im Rahmen des Forschungsinstituts „Synagogue Memorial“ der Erforschung dieses Datums verschrieben. Er hält den Begriff „Kristallnacht“ für euphemistisch und verharmlosend für ein mörderisches Pogrom, das von den Nazis minutiös geplant und landesweit durchgeführt wurde.

Peinliche Zahlenspielereien

Ursprünglich hatte der Chef der Reichssicherheitspolizei, Reinhard Heydrich, am 11. November 1938 dem preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring 36 Todesfälle und 36 Schwerverletzte unter der jüdischen Bevölkerung des deutschen Reiches gemeldet. Ein Geheimbericht des Obersten Parteigerichts sprach im Februar 1939 dann schon von 91 Toten. Trotzdem wurde die Zahl 36 jahrelang in der Literatur als endgültige Opferzahl weitergegeben und selbst von Wissenschaftlern immer wieder abgeschrieben. Mittlerweile weiß man von ungefähr 400 Menschen, die in der eigentlichen Pogromnacht ermordet wurden.

Heydrich hatte an Göring gemeldet: „An Synagogen wurden 191 in Brand gesteckt, weitere 76 vollständig demoliert.“ Diese „Heydrich-Zahl“ von 267 zerstörten Synagogen wurde erst durch die sorgfältige Arbeit des „Synagogue Memorial“ korrigiert. Mittlerweile ist nachweisbar, dass in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 in Deutschland mindestens 1 406 Synagogen und jüdische Betstuben niedergebrannt oder vollständig zerstört wurden. 50 000 Juden wurden deportiert. 1 300 Todesopfer können direkt auf Aktionen infolge dieser Schreckensnacht zurückgeführt werden. Von den Statistiken werden sie bis heute nicht als „Holocaustopfer“ geführt.

Leider sind die Blindheit für diese Ereignisse, die zur Ermordung von sechs Millionen Juden geführt haben, das jahrzehntelange Ignorieren des eigentlichen Ausmaßes dieser Nacht des Verbrechens, und das Schweigen des Großteils der damaligen deutschen Bevölkerung symptomatisch für derlei Ausbrüche des Hasses auf das jüdische Volk. Meier Schwarz schrieb vor zwanzig Jahren in einer Presseverlautbarung seines Instituts: „Hätte die Bevölkerung in der Pogromnacht nicht geschwiegen, hätte ein solcher Holocaust vielleicht verhindert werden könne. Wer Verbrechen mit ansieht oder verschweigt, beteiligt sich an ihnen!“

Das Josefsgrab

Im Oktober 2000 wurde mir einmal mehr bewusst, wie wichtig es, der Ereignisse des 9. November 1938 zu gedenken. Als Journalist beobachtete ich die tagelangen Gefechte um das Josefsgrab im Zentrum der heute arabischen Stadt Nablus, des biblischen Sichem. Nach dem Abzug der israelischen Armee verwüstete der palästinensische Mob die heilige Stätte der verhassten Juden mit bloßen Händen. Wenige Tage später wurde sie zur Moschee geweiht, die Kuppel grün gestrichen. Heute ist das Areal abgesperrt. Palästinensische Polizisten verwehren jedem Interessierten den Zugang.

Nach den Abkommen von Oslo sollten Juden eigentlich an dem Ort beten dürfen, das in grauer Vorzeit ihr Vater Jakob von den Söhnen Hamors gekauft hatte. Später wurden dort die Gebeine des Stammvaters Josef bestattet.[1] Wie kaum ein anderer Ort ist das Grab Josefs für gläubige Juden mit der Hoffnung verbunden, dass der Gott Israels seine Verheißungen wahr macht. Heute können orthodoxe Juden nur noch unter Lebensgefahr, bei Nacht und Nebel am Grab des Stammvaters beten.

Derlei Ereignisse sind weder einzigartig, noch unerwartet. Palästinenser haben alle Synagogen, die in ihre Hände fielen, entweiht und zerstört. Wer sich als Deutscher heute unter Arabern bewegt, weiß, dass Hitler bewundert und verehrt wird. Einziger Kritikpunkt von Palästinensern ist in der Regel, dass er „seine Arbeit nicht ordentlich zu Ende geführt hat.“ Heute wie damals schweigt die überwältigende Mehrheit der Zuschauer weltweit. Der arabische Hass auf das jüdische Volk wird kaum irgendwo thematisiert, obwohl er als eine der entscheidenden Ursachen des Nahostkonflikts angesehen werden muss.

Mutationen des Hasses

Seit es das Volk Israel gibt, hat es Feinde, die es vernichten wollen. Die Symptome dieses Hasses bleiben gleich. Was mutiert, ist die angebliche Begründung dafür. Der ägyptische Pharao meinte seinen Säuglingsmord unter den Hebräern mit der demografischen Bedrohung rechtfertigen zu können. Für den persischen Haman war das „andere Gesetz“ der Grund seiner Vernichtungspläne. Martin Luther hasste die Juden aufgrund ihrer Religion – wenn sich ein Jude bekehrte, war er „koscher“.

Erst die Perfektionierung der Rasseideologie im 19. Jahrhundert brachte einen Antisemitismus hervor, der einem Juden jede Integration verunmöglichte. In den jüngsten Jahrzehnten muss die politische Profilierung des jüdischen Volkes, der Zionismus, als Rechtfertigung der ewig unveränderlichen Emotionen herhalten. Heute ist der Staat Israel „der Jude“ in der Völkergemeinschaft. Was unverändert bleibt, ist der Hass, auch wenn er heute den Namen „Antizionismus“ trägt.

Verblüffend alt-neue Begründungen

Die Begründungen für die Abneigung gegen das jüdische Volk ähneln einander seit jeher verblüffend. Da ist das Anderssein, und dass Juden sich einer Assimilierung – heute würde man sagen Integration – so erfolgreich widersetzen. Hitler meinte, in seinem Werk „Mein Kampf“ „die moralischen Schmutzflecken des auserwählten Volkes“ entdecken zu müssen – was sehr daran erinnert, wie heute die Vereinten Nationen den Juden unter den Völkern behandeln. Man vergleiche nur einmal die Anzahl der Verurteilungen Israels mit der Anzahl der Resolutionen gegen den Rest der Welt.

Wenn heute Israel vorgeworfen wird, den Palästinensern das Wasser zu stehlen, offenbart sich bei näherem Hinsehen und Fakten-Check ein erstaunlich ähnliches Muster zu den Brunnenvergiftungsvorwürfen des Mittelalters. Der Vorwurf der Hostienschändung aus dem 13. Jahrhundert erfährt eine Neuauflage durch den Verdacht, Israel würde heilige Stätten anderer Religionen schänden oder zumindest „judaisieren“.

Wenn die israelische Armee als Schlächter palästinensischer Kinder angeprangert wird, dann trägt diese antiisraelische Propaganda eigenartig ähnliche Wesenszüge wie die Ritualmordlegenden an christlichen Kindern. Man muss gar nicht bemerken, wie hungrig christliche Medien Nachrichten über Christenverfolgungen im jüdischen Staat aufnehmen. Der Christus-Mörder-Vorwurf ist genauso lebendig, wie offen geäußerte Verdachtsmomente, „die Juden“ würden die Finanzwelt oder die Medien beherrschen. Selbst die Behauptung, die Juden seien „der Antichrist“, muss ich nicht in einschlägigen Geschichtsbüchern suchen. Ein Christ in Bethlehem hat es mir ins Gesicht gesagt, ganz offensichtlich aus voller Überzeugung.

Semiten als Antisemiten

Es sind nicht nur Araber oder deren Freunde, die behaupten, ein Semit könne kein Antisemit sein. Auch Schimon Peres erklärte während eines seiner packenden Journalistengespräche einmal: „Ein Jude kann kein Antisemit sein.“

Dem widerspricht Rabbi David Ben Yosef Kimchi (1160-1235), der so genannte „Radak“. Der bis heute unumstritten einflussreiche Grammatiker der hebräischen Sprache und Exeget, übersetzt Jesaja 49,17: „Deine Zerstörer und deine Verwüster kommen aus dir selbst.“ Und Joseph Herman Hertz, der ehemaligen Oberrabbiner des britischen Weltreichs, erinnert daran, „dass Israels schlimmste Feinde, die seinen guten Namen verunehren, aus seinem eigenen Lager kommen.“[2]

Insofern scheint es auch scheint es also auch nichts Neues zu sein, wenn heute die schlimmsten Verleumdungen über den jüdischen Staat von Juden und Israelis verbreitet werden. Dazu gehört auch die Aussage, Siedler hätten das Wasser der Palästinenser vergiftet.

Unfassbar

Wenn’s nicht so wahr wäre, wäre es ein Witz, was über Albert Einstein erzählt wird. Als seine Relativitätstheorie noch neu und sehr umstritten war, soll Einstein erklärt haben: „Falls sich meine Theorie als wahr erweisen sollte, wird mich Deutschland als Deutschen für sich in Anspruch nehmen und Frankreich mich zum Weltbürger erklären. Sollte sich aber meine Theorie als unrichtig erweisen, wird man in Frankreich sagen, ich sei ein Deutscher, und in Deutschland wird man mich zum Juden erklären.“[3]

Auch daran hat sich nichts geändert, wie jeder, der sich gegen Judenhass äußert, schnell merken wird. Diese uralte Krankheit ist glitschig wie eine Forelle und gerissen wie eine Schlange. Weder Akademiker noch Fromme sind davor gefeit. Im Hass auf „die Juden“ waren sich Hitler und Marx so eins, wie es heute rechts und links im politischen Spektrum zu sein scheinen. Die Lektion aus den grausigen Ereignissen der Reichspogromnacht muss noch immer gezogen werden, auch 80 Jahre danach.

Fußnoten:

[1] 1. Mose 33,18-20; Josua 24,32; vergleiche 1. Mose 50,25; 2. Mose 13,19.

[2] Joseph Herman Hertz, Pentateuch und Haftoroth. Hebräischer Text und deutsche Übersetzung mit Kommentar, Band 5: Deuteronomium (Zürich: Verlag Morascha, 1984), 491.

[3] Bill Adler, Jüdische Weisheiten, Jüdischer Witz, übersetzt von Werner Gronwald (München: Wilhelm Heyne Verlag, 1971), 39.

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By Published On: Oktober 8, 20187,3 min read

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