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Vor genau zehn Jahren, am 13. September 1993, schüttelten sich der israelische Premierminister Yitzhak Rabin und PLO-Chef Yassir Arafat unter den wohlwollenden Blicken des amerikanischen Präsidenten Bill Clinton auf dem Rasen vor dem Weißen Haus in Washington die Hände. Damit besiegelten sie den Beginn des palästinensisch-israelischen Verhandlungsprozesses, der untrennbar mit dem Namen der norwegischen Hauptstadt Oslo verbunden ist. Die Welt bejubelte das (vermeintliche) Ende des Jahrhundertkonflikts im Nahen Osten.
Im Juli des Jahres hatten Rabin und sein Außenminister Shimon Peres noch jeden Kontakt der israelischen Regierung mit Vertretern der PLO geleugnet. Anfang August 1993 verkündet der israelische Regierungschef dann aber plötzlich, er werde kein Kabinettsmitglied an direkten Gesprächen mit PLO-Vertretern hindern. In der zweiten Augusthälfte einigen sich Peres und der als „Abu Ala“ bekannte PLO-Funktionär Ahmed Qrea auf eine Grundsatzerklärung, die eine palästinensische Autonomie vorsieht. In einem Briefwechsel Anfang September anerkennen sich Israel und die PLO gegenseitig. Yassir Arafat verpflichtet sich ausdrücklich, künftig auf jede Form des Terrors gegen den israelischen Staat zu verzichten.
Eigentlich sollten Palästina und Israel heute als blühende Staaten friedlich nebeneinander leben. So wie man von Karlsruhe nach Straßburg fahren kann, sollte man eigentlich von Netanya nach Nablus, von Ramallah nach Jerusalem oder von Afula nach Jenin fahren können – ohne Grenz- und Zollkontrollen, ohne Wartezeiten oder aufdringliche Fragen von neugierigen Sicherheitsbeamten. Aber die Realität nach zehn Jahren Oslo sieht ganz anders aus als die Nahostvision der Oslo-Architekten. Die zehn Jahre nach dem Händedruck auf dem Rasen vor dem Weißen Haus waren die bislang blutigsten in der Geschichte der israelisch-palästinensischen Beziehungen.
Die Palästinenser erleben heute eine härtere Besatzung als in der Zeit vor Oslo. Vor 1987 konnten sie ungehindert nach Tel Aviv, Hadera oder Aschdod an den Strand fahren. Heute können sie nur unter großen Schwierigkeiten und demütigenden Sicherheitskontrollen von einer palästinensischen Stadt zur nächsten reisen. Ausgangssperren machen es oft unmöglich, das eigene Haus zu verlassen. Die Wirtschaft ist am Boden, manche sorgen sich um das tägliche Brot. Immer wieder kommt es zu Kampfhandlungen, bei denen auch unbeteiligte Zivilisten zwischen die Fronten geraten.
In Israel herrscht Ratlosigkeit. Entgegen herkömmlicher Theorien, was junge Menschen zu Selbstmordattentaten treibt, sieht man im jüdischen Staat, dass die große Welle der Selbstmordanschläge Mitte der 90er Jahre just zu der Zeit begann, als zum ersten Mal in der Geschichte ein unabhängiger Palästinenserstaat in greifbare Nähe gerückt schien. Zugeständnisse wurden mit Gewalt beantwortet, muss man in Israel im Rückblick erkennen. Offen fragt man sich: Warum haben wir den Palästinensern Land und Waffen und die Möglichkeit zur Selbstbestimmung gegeben – wenn all das nur genutzt wird, um den jüdischen Staat bis auf’s Blut zu bekämpfen.
Überhaupt straft der Rückblick auf die 90er Jahre viele Stereotypen Lügen. So war es beispielsweise der als Hardliner verschrieene Benjamin Netanjahu, in dessen Regierungszeit Israel das meiste Land an die Palästinensern abtrat. Ehud Barak dagegen, sein als Rabinerbe und Hoffnungsträger gefeierter Nachfolger, ist als der erste israelische Premier in das Bewusstsein des palästinensischen Volkes eingegangen, der die Palästinenser mit Panzergranaten und Raketen beschossen hat.
Warum ist Oslo gescheitert? Der Erklärungsversuche ist kein Ende. Ganz bestimmt ist ein entscheidender Grund die Fehleinschätzung der Realität auf beiden Seiten und daraus resultierend überzogene Erwartungen bei Palästinensern und Israelis. Hätte die israelische Öffentlichkeit die Absichtserklärung der muslimischen Fundamentalisten und ihren Rückhalt in der palästinensischen Gesellschaft vielleicht ernster nehmen müssen? Bereits am 10. September 1993 erklärte ein Vertreter der Hamasbewegung: „Wir werden niemals an diesem Spiel teilnehmen!“ Auf jeden Fall scheinen die Europäer langsam den Zusammenhang zwischen Absichtserklärungen und Absichtsverwirklichung zu erkennen, wenn sie jetzt endlich auch den politischen Flügel der Hamas zur Terrororganisation erklärt haben.
Und vielleicht hätte die palästinensische Öffentlichkeit begreifen müssen, dass ein von Israel absolut unabhängiges Palästina ein unerfüllbarer Traum ist. In Fragen der Lufthoheit, des Wassers und der Wirtschaft werden sich Israelis und Palästinenser immer arrangieren müssen, selbst wenn Israel die Maximalforderungen der Palästinenser erfüllen könnte. Ehud Barak betonte schon Anfang 2000, dass sich Israel keine weitere arabische Armee westlich des Jordan erlauben könne. In der Praxis wird das bedeuten, dass ein künftiger Palästinenserstaat auch in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik immer die Interessen Israels im Blick haben und dem jüdischen Staat entsprechende Kontrollfunktionen einräumen muss.