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Zur Lage der Christen in der Palästinensischen Autonomie (PA)
Sechzig Prozent der Christen im Heiligen Land sind in den vergangenen Jahrzehnten ausgewandert. Während der christliche Bevölkerungsanteil im Gebiet der heutigen PA 1948 noch bei 18 Prozent lag, sind es heute weniger als zwei Prozent. In der Geburtsstadt Jesu, Bethlehem, hat die christliche Bevölkerung in den vergangenen hundert Jahren von 95 Prozent auf weniger als 35 Prozent der Einwohner abgenommen. Immer lauter werden die Befürchtungen, daß es in wenigen Jahren im Geburtsland Jesu keine einheimischen Christen mehr geben wird. Palästinensische Christen fordern von ihren Glaubensgenossen im Ausland, im Ursprungsland des Christentums nicht nur tote Steine zu beachten, sondern sich auch um „die lebendigen Steinen“ zu kümmern.
Gründe für die Abwanderung palästinensischer Christen
Die Anfänge der Auswanderungsbewegung palästinensischer Christen liegen in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Vor allem die Armut trieb Christen dazu, in der „Neuen Welt“ ihr Glück zu suchen. Da die christliche Minderheit in der arabischen Gesellschaft des britischen Mandatsgebiets Palästina in der Mittel- und Oberschicht angesiedelt waren, stand ihnen diese Option offen. Bis heute gehören viele Christen zur kulturellen und intellektuellen Elite. Sie sind finanziell besser gestellt, haben bessere Verbindungen ins westliche Ausland und einen höheren Bildungsstandard als ihre moslemischen Volksgenossen.
Durch den Befreiungskrieg des Staates Israel 1948 wurden 50.772 Christen zu Flüchtlingen, 35 Prozent der christlichen Bevölkerung Palästinas. Im Gegensatz zu den Moslems hatten viele von ihnen Verwandte in Amerika und mußten sich deshalb nicht in Flüchtlingslagern zusammenpferchen lassen. Aus dem Gebiet des jungen Staates Israel strömte eine beträchtliche Zahl von moslemischen Flüchtlingen in ursprünglich christliche Städte wie Ramallah oder Bethlehem und Beit Jala. Das beeinflußte die soziale Struktur in diesen Gebieten entscheidend. Außerdem macht sich die vergleichsweise niedrige Geburtenrate der Christen bemerkbar.
1967 wurde das Westjordanland von Israel besetzt. In den letzten zwanzig Jahren ist wieder eine verstärkte Abwanderung von Christen aus den palästinensischen Gebieten zu verzeichnen. Christliche Vertreter aus dem gesamten Spektrum der palästinensischen Gesellschaft sind sich darin einig, daß dies vor allem auf die instabile politische und wirtschaftliche Situation zurückzuführen ist. „Der Hauptgrund ist der Konflikt mit Israel, daß wir seit 60 Jahren keinen Frieden haben“, erklärt der Direktor des evangelikalen „Bethlehem Bible College“, Bishara Awad.
Dem widerspricht der in den USA lebende Exillibanese Walid Phares. Aufgrund seiner Erfahrung im Libanon statiert der maronitische Christ: „Die Christen verlassen ihre Heimat wegen des islamischen Fundamentalismus.“ Auch Palästinenser beklagen „die Schwäche ihrer Kirche angesichts eines stetig zunehmenden islamischen Aktivismus“. Die Gründe für die Auflösung der christlichen Gesellschaft in Palästina habe nichts mit den Israelis zu tun. Awad hält dagegen, daß es „in unserer Gegend niemals Massaker von Moslems an Christen gegeben hat. Es gibt keine Emigration wegen der Moslems.“
Ein Problem sei allerdings, daß immer mehr Moslems in christliche Wohngebiete ziehen. Bei Land- und Immobilienkäufen erweisen sich die sonst materiell weniger gut gestellten moslemischen Mitbürger plötzlich als äußerst kaufkräftig. Das hartnäckige Gerücht, daß moslemische Glaubensbrüder aus dem Ausland hier effektive Hilfe leisten, begegnet in allen Gesprächen über dieses Thema. Auch in traditionell christlichen Städten und Dörfern machen neue Moscheen weithin sichtbar und unüberhörbar ihren Anspruch geltend. Daß diese Gebäude durch Gelder aus den Golfstaaten finanziert wurden, gilt als offenes Geheimnis. Vor ein paar Jahren erhoben Vertreter traditioneller Kirchen Einspruch gegen die Wiederbelebung eines Gesetzes aus jordanischer Zeit, das die „aggressive Siedlungspolitik Israels“ eindämmen sollte. Darin wird der Verkauf von Land an Nichtmoslems unter Androhung der Todesstrafe verboten.
Christenverfolgung in der Palästinensischen Autonomie (PA)?
1997 warfen die christlich-zionistische Internationale Christliche Botschaft in Jerusalem (ICEJ) und das Büro des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu der PA vor, Moslems, die sich zum Christentum bekehrt hatten, einzuschüchtern, zu verhaften und zu foltern. Als die amerikanische Presse darüber berichtete, reagierte die PA mit einer Stellungnahme, die betonte, daß die Freiheit der Religionsausübung und der religiösen Überzeugung palästinensischer Moslems, Christen und Juden geschützt sei. Ein Bericht des US-Außenministeriums vom 9. September 1999 stellt fest, daß es in der PA zwar kein Gesetz gibt, das die religiöse Freiheit schützt. Allerdings: „In der Praxis respektiert die PA die Freiheit der Religion.“
Bischof Munib A. Younan von der evangelisch-lutherischen Kirche in Jordanien hat seinen Amtssitz in Jerusalem und ist für die evangelisch-lutherischen Christen in der PA verantwortlich. Er meint: „Wenn Verfolgung bedeutet, daß ich nicht als Christ leben darf, daß meine Predigten kontrolliert werden, dann gibt keine Christenverfolgung, weder in Israel, noch in der PA. Dieser Einschätzung folgen viele Christen. Der Baptistenpastor Bassam Bannoura aus Beit Sahour erzählt, daß er 1999 die „Shepherds Fields Baptist Church“ eröffnet habe, ohne sie bei der PA zu registrieren. Er habe deswegen ebensowenig Probleme bekommen, wie für die evangelistischen Aktionen, die seine Gemeinde jedes Jahr am 6. Januar, dem orthodoxen Weihnachtsfest, durchführt. Auf der Rückseite evangelistischer Traktate ist die Adresse der Gemeinde notiert.
Der palästinensische Bürgerrechtler und Geschäftsführer der „Palestinian Human Rights Monitoring Group“, Bassam Eid, dokumentiert die Menschenrechtsverletzungen in der PA. Er ist als scharfer Kritiker der palästinensischen Führung bekannt geworden. Im Februar 1998 erschien eine akribische Untersuchung der Vorwürfe einer Christenverfolgung in der PA. Eid geht den einzelnen, von der ICEJ angeführten Fällen nach. Er kommt zu dem Schluß, daß es zwar Menschenrechtsverletzungen in der PA gebe, die keinesfalls hingenommen werden dürften, daß es andererseits aber keine gezielte Christenverfolgung gebe. Der Bericht des amerikanischen Außenministeriums weiß, daß offensichtlich nicht ausschließlich die religiösen Aktivitäten der neubekehrten Moslems für deren Verhaftung verantwortlich gewesen sein sollen.
Labib Madanat, Generalsekretär der Bibelgesellschaft in der Westbank, dem Gazastreifen und Jerusalem, meint aufgrund seinen weitreichenden Kontakten ebenfalls bestätigen zu können, daß es eine Verfolgung im „kommunistischen oder chinesischen Sinne fast nicht“ gebe, um dann fortzufahren: „Wir Christen sind Heuchler, wenn wir Menschenrechtsverletzungen nur anprangern, wenn Christen betroffen sind. Warum stehen wir als Gemeinde nicht auf und klagen Unrecht an, selbst wenn ein Hamasmitglied ohne Verfahren zu Tode gefoltert wird, weil es als Sicherheitsbedrohung empfunden wird?“
Warum werden dann immer wieder „Christenverfolgungen in der PA“ gemeldet? Ein ehemaliger Offizier der palästinensischen Eliteeinheit „Force 17“, selbst Moslem aus Bethlehem, kann sich das nur so erklären, daß die „Verfolgten“ vor allem Geld und Sympathie im Ausland suchen. Während seiner Dienstzeit habe er sowohl Moslems, die zum Christentum konvertiert seien, als auch Christen, die einen Moslem geheiratet hätten, vor Verfolgung schützen müssen. Und dann verweist er auf die enge Verflechtung von Moslems und Christen in der palästinensischen Führung: PA-Chef Yasser Arafat ist mit einer Christin verheiratet und sein erster Assistent, Ramzi Khoury, selbst Christ, hat eine Moslemin zur Frau. Immer wieder betonen palästinensische Christen, daß „Arafat sie liebt“, weil ihm am Frieden liegt, weil er will, daß Minderheiten fair behandelt werden, und weil er das Wohlgefallen des Westens braucht.
Trotz allem leben die Christen in der PA in einer Minderheitensituation. Der Bericht des US-Außenministeriums stellt fest: „Obwohl es in der PA keine offizielle Religion gibt, wird der Islam de facto als offizielle Religion behandelt.“ „Wir müssen mit den Moslems zusammenleben“, erinnert Bischof Younan. Und die Erklärung der PA vom Dezember 1997 hält nicht nur Toleranz und Minderheitenschutz fest, sondern auch, daß „das palästinensische Volk von der Schari’a“, das heißt, islamischem Recht, beherrscht wird, und daß „nach der Schari’a jeder Moslem, der seine Religion wechselt, ein Verbrechen begeht, das mit dem Tode bestraft werden muß“. Obwohl sich die PA an die Schari’a gebunden wisse, sei dies „in der Praxis in der PA nie durchgesetzt worden… Die Normen und Traditionen werden sich solcher Situationen annehmen, sollten sie vorkommen.“
Identitätskrise als „innere Verfolgung“
Labib Madanat, der sich selbst als Palästinenser, Jordanier und Israeli bezeichnet, sieht zwar keine PA-Kampagne gegen bekehrte Moslems oder evangelistische Aktivitäten, wohl aber eine Art „innere Verfolgung“. „Die geistliche Bedrängnis, die ein inneres geistliches Leben abtöten oder überhaupt erst unmöglich machen will, ist immens“, meint der Leiter des palästinensischen Zweiges der Bibelgesellschaft. „Sie nimmt traditionellen Christen jede Hoffnung auf ein echtes geistliches Leben.“ Darin sieht er die große Herausforderung seiner Arbeit und der arabischen Christen überhaupt.
Der lutherische Bischof Munib Younan meint erkennen zu können, daß „unsere christliche Identität in einer Krise“ ist. „Wir sind zu Fremden geworden“, meint der Kirchenführer, dessen Familie ursprünglich aus dem heute israelischen Beer Scheva stammt. Er will den Minderheitenkomplex überwinden, Salz in der Gesellschaft sein, in der er lebt und vor allem durch Bildung eine lebenswerte Zukunft aufbauen, „ein Land, in dem Milch und Honig fließt, für beide Völker, die hier leben“.
Auch Madanat benennt das „Minderheitensyndrom“ als Grundproblem palästinensischer Christen. Allerdings sieht er einen Fehler in der Überbetonung ihrer palästinensischen Identität. „Für einen Moslem ist es viel einfacher, den nationalen Freiheitskampf mit der Religion zu identifizieren und zu rechtfertigen“, meint der profilierte Christ und erklärt weiter: „Die Christen haben keine biblische Rechtfertigung für ihre nationalen Bestrebungen gefunden. Die Vertreter einer palästinensischen Befreiungstheologie, wie Mitri Raheb oder Naim Ateek, sprechen im besten Falle für eine intellektuelle Elite. Die Kirche hat versagt, ihren Gliedern zu vermitteln, daß ihre eigentliche Identität in Christus liegt. Die Evangelikalen haben sich in ihre stillen Kämmerlein zurückgezogen. Die traditionellen Christen haben auf andere Weise versagt. Teilweise haben sie sich für das Alte Testament entschuldigt. Wir haben keinen Mut gehabt, unser Volk zu erziehen. Wir müssen lernen, nicht Jesus in unserer nationalen Identitätssuche unterzubringen, sondern unsere Identität in Christus zu suchen.“