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Liebe Leser,
seit Urzeiten spielt Wasser im Orient eine entscheidende Rolle. Wasser bedeutet Leben, gerade in einem Land, das von Trockenheit geprägt ist, zu sechzig Prozent aus Wüste besteht. Für den Besitz einer Quelle gaben Beduinen ihr Leben – oder sie nahmen Leben, wenn jemand unerlaubt Wasser raubte. Der Kampf um Brunnen und Quellen bestimmt das Leben der Nomaden seit biblischen Zeiten.
„Das Land, in das ihr kommt, um es als Erbteil einzunehmen“, erklärte Mose dem Volk Israel kurz vor dem Einzug in das Land Kanaan, „ist nicht wie das Land Ägypten, aus dem ihr ausgezogen seid“. Dort bearbeitet und düngt man den Boden, sät den Samen und bewässert ihn mit Wasser, das der Nil zuverlässig und das ganze Jahr über zur Verfügung stellt. Zumindest war das in biblischer Zeit so. Entscheidend waren Know-How und Arbeitseifer eines Landwirts. Dann war der Erfolg garantiert. In Ägypten – wie übrigens auch im Zweistromland – konnte man am Zustand der Felder den Fleiß dessen messen, der sie bestellte. Ägypten ist, laut Mose, „wie ein Gemüsegarten“ (5.Mose 11,10).
Ganz anders das Land, das Gott seinem Volk anvertraut. Es hat trockene Berge und Täler, nur selten Seen und Bäche, und keine Ströme, die das ganze Jahr hindurch Wasser führen. Lediglich der Tau des Himmels tränkt die Felder. Das Entscheidende am Land Israel ist, dass „der Herr, dein Gott, es sucht“, das heißt, „die Augen des Herrn, deines Gottes, ruhen auf ihm vom Anfang bis zum Ende des Jahres“ (5.Mose 11,11). Es gibt praktisch keinen Tag, an dem dieses Land nicht auf die Zuwendung Gottes angewiesen wäre. Sobald er sich abwendet, seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes richtet, machen sich Trockenheit, Durst, Hunger und Tod breit. Deshalb ist das Gebet um Tau und Regen nicht aus dem Synagogengottesdienst wegzudenken.
Das Land Israel ist ein hartes Land. Durch den ständigen Kampf ums Dasein werden seine Bewohner rücksichtslos, hart, brutal. Es ist „ein Land, das seine Einwohner frisst“, in dem nur überlebt, wer sich zu behaupten weiß (4.Mose 13,32). Deshalb weint, wer in dieses Land investieren muss, wer darauf angewiesen ist, seinen Samen dort auszusäen (Psalm 126,5f.). „Sollte ich“, so überlegt sich der Sämann, „das kostbare Saatgut nicht lieber meiner Familie als Brot auf den Tisch stellen, anstatt es diesem unberechenbaren, unbarmherzigen Boden anzuvertrauen – ohne jede Garantie dafür, dass Regen kommt, die Saat aufgeht, Frucht wächst?“
Seit jeher ist die Vorstellung von Wasser im „gelobten Land“ mit Emotionen überladen. Ob diejenigen, die sich heute zum israelisch-palästinensischen Konflikt zu Wort melden, diese biblischen Bilder vor Augen haben, weiß ich nicht. Das ist auch nicht wichtig. Entscheidend ist: Die Assoziationen, die damit verbunden sind, haben Wirkung. Logische Interessenlagen oder Fakten spielen keine Rolle. Wenn behauptet wird, Israelis graben den Palästinensern das Wasser ab, sind Fronten und vor allem Verantwortlichkeiten klar. Der Blick auf die Realität wird ausgeschaltet. Unwichtig ist, dass Israelis maßgeblich zur Lösung der Wasserprobleme Indiens und Chinas beitragen, heute Wasser so günstig aus Meerwasser produzieren, dass sich das Pumpen aus dem See Genezareth bald nicht mehr lohnt. Israel könnte durch sein Know-How und seine Technologie das Wasserproblem der Region lösen, würde das der ideologisch begründete Hass seiner Nachbarn nicht verhindern.
Mit freundlichem Gruß aus Jerusalem,
Ihr Johannes Gerloff