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Ein stämmiger orthodoxer Jude vor mir in der Schlange singt fröhlich: „Mordechai jatza milifnei haMelech“ – „Mordechai ging vom König hinaus“. In dem Lied geht es darum, dass dem Juden Mordechai eine goldene Krone und königliche Kleider angezogen wurden.
Ja, das Purimfest steht vor der Tür. Und mit Blick auf die Ukraine und Russland, muss ich auf einmal daran denken, wie mir vor Jahren im Hebräischkurs russische Juden erzählten, dass Stalin, der vorgehabt hatte, alle Juden nach Sibirien umzusiedeln, ausgerechnet an diesem Fest gestorben ist.
Auf englischsprachigen jüdischen Internetseiten kann man über dieses moderne Purimwunder und auch über diesen Haman des 20. Jahrhunderts nachlesen. Josef Stalin erlitt am 1. März 1953 einen Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholte. Seine Regierungszeit war eine Zeit antijüdischer Propaganda und der Judenverfolgung auf dem gesamten Gebiet der damaligen Sowjetunion. Das Ausüben der jüdischen Religion war verboten. Wer im Geheimen seinen neugeborenen Sohn beschneiden ließ, konnte ins Gefängnis kommen.
Der Gegner des Sowjetregimes und israelische Politiker Natan Scharansky wurde im ukrainischen Donezk geboren. Damals hieß die Stadt Stalinov. Er erinnert sich daran, wie ihm sein Vater von Stalins Tod erzählte und meinte, das sei ein großer Tag gewesen. Damals durfte aber niemand so etwas sagen. Im Kindergarten wurde Stalin von allen beweint. Als Kind war Scharansky nicht klar, dass das alles zur Zeit des Purimfestes geschah.
Juden sahen und sehen in Stalins Tod ein Eingreifen Gottes. Aus ihrer Sicht war das vergleichbar mit den Ereignissen, die im biblischen Buch Ester beschrieben werden und derer jetzt während der Purimtage gedacht wird. Obwohl Gott in der gesamten Erzählung nicht einmal genannt wird, änderte sich das Schicksal der Juden im Persischen Reich nach dem dreitägigen Fasten, um das Ester gebeten hatte.
Fasten ist in der Bibel ein Zeichen der Umkehr zu Gott, der Bitte um Hilfe und Errettung, und auch um Weisheit im Blick auf das weitere Vorgehen in einer schwierigen Situation. Schließlich ist Fasten auch ein Ausdruck der Reue über die eigene Schuld.
Hamans Hass gegen die Juden war entflammt, weil Mordechai sich im Unterschied zu allen anderen Untertanen nicht vor ihm beugen wollte. Der königliche Wesir erreichte bei seinem Herrn die Erlaubnis, Schreiben zu senden „in alle Provinzen des Königs, man solle vertilgen, töten und umbringen alle Juden, Jung und Alt, Kinder und Frauen, auf einen Tag, nämlich am dreizehnten Tag des zwölften Monats, das ist der Monat Adar, und ihr Hab und Gut plündern. Eine Abschrift des Schreibens sollte als Gesetz erlassen werden in allen Provinzen, um allen Völkern zu eröffnen, dass sie sich auf diesen Tag bereithalten sollten“ (Esther 3,13-14).
Der amerikanische Rabbiner aus der Chabad Bewegung Josef Jitzchak Jacobson erklärt, dass für ein gewöhnliches jüdisches Mädchen, das sich wie alle anderen vor dem despotischen Herrscher fürchtete, ein Wendepunkt kam, als es von seinem Pflegevater Mordechai zu hören bekam: „Wer weiß, ob du nicht gerade um dieser Zeit willen zur königlichen Würde gekommen bist?“ (Esther 4,14).
Als Esther auf diese Weise klar wurde, dass sie einen Ruf im Leben hat, verwandelte sie sich in eine mutige Frau, die dann sogar selbst Mordechai Anweisungen gab. Jacobson verglich Esthers heldenhaftes Vorgehen mit den Chabad-Gesandten, die sich mit einem starken Sendungsbewußtsein jetzt unter Beschuss in der Ukraine um Flüchtlinge kümmern oder mit dem Aufstieg des ukrainischen Präsidenten Volodymyr Zelensky.
Im Laufe von Jahrhunderten haben sich unterschiedliche Traditionen entwickelt, wie man das Purimfest feiert. Am auffälligsten ist wahrscheinlich die aus Italien stammende Sitte, sich zu verkleiden. An manchen Orten in Israel erinnern die Purimfeiern an Karneval, der mit der biblischen Erzählung gar nichts mehr zu tun hat. Aber die Kinder in Israels Schulen und Kindergärten sind mit der Geschichte des Juden Mordechai, des jüdischen Waisenkindes, dass zu Königin wurde, und des bösen Haman bestens vertraut. Für viele ist es Teil ihrer Geschichte. Für andere eine Inspiration und bis heute hoch aktuell.