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Gefährlicher Polit-Rambo oder innovativer Realpolitiker?
Israels Außenminister Avigdor Lieberman im Porträt
„Antiarabischer Demagoge“ und „bösartiger Neofaschist“, „ausgewiesener Gangster“, „Erzrassist“ oder auch „ultranationalistischer Friedensfeind“, die internationale Presse übertrifft sich selbst auf der Suche und bei der Neuschöpfung wenig charmanter Kosenamen für den Außenminister der Regierung Netanjahu. Ein Streifzug durchs Internet offenbart, dass er sich „wie ein Elefant im Porzellanladen“ benehme und „die Schande Israels“ sei. Was Jean-Marie Le Pen für Frankreich, Wladimir Schirinowski für Russland und Jörg Haider für Österreich ist, soll Avigdor Lieberman für Israel sein. Der in Deutschland hoch geachtete israelische Linksextremist Uri Avnery meint gar, Lieberman sei noch „viel schlimmer als Le Pen und Haider“. Man befürchtet, die ethnische Säuberung kehre zurück auf Israels Agenda. Nur die Umbenennung von „Lieberman“ in „Böserman“ hat noch niemand vorgeschlagen, obwohl er genau das ist: Der neue Buhmann auf der Bühne internationaler Politik, das geliebte Feindbild, ohne das die Welt offensichtlich nicht auskommt.
Und Avigdor Lieberman? Der wurde am 5. Juni 1958 als Ivet Lieberman im moldawischen Kischinev geboren. Heute ist er stolz darauf, umstritten zu sein: „Ich bin umstritten, weil ich neue Ideen anbiete. Aus meiner Sicht ist das positiv!“ Der Lebensweg des schillernden Politikers ist so interessant wie seine Sichtweise. Seine Eltern haben sich im sibirischen Gulag unter stalinistischer Herrschaft kennengelernt. Weil er Jude war, wurde ihm in den 1970er Jahren ein Jurastudium an der Universität Kiew verweigert. Im Alter von zwanzig Jahren wanderte er mit seiner Familie nach Israel aus. Nach seinem Militärdienst studierte er an der Hebräischen Universität in Jerusalem internationales Recht. Avigdor Lieberman spricht fließend Rumänisch, Russisch, Hebräisch, Jiddisch und Englisch und ist verheiratet mit Ella, geborene Zipkin. Das Paar hat zwei Töchter und einen Sohn und wohnt seit 1988 in Nokdim, einer israelischen Siedlung im judäischen Bergland nahe Bethlehem.
Seit er in den 1990er Jahren die politische Bühne Israels betrat, hat sich Lieberman zu einer Macht im jüdischen Staate gemausert. Seit 1988 arbeitete er mit Benjamin Netanjahu zusammen, 1993 bis 1996 als Generaldirektor des Likud und 1996 bis 1997 als Generaldirektor des Büros des Ministerpräsidenten. 1999 gründete er die Partei „Israel Beiteinu“, übersetzt „Israel, unser Haus“ oder auch „Israel, unsere Heimat“, die sich die Anliegen der Neueinwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion zueigen gemacht hat. Im selben Jahr wurde Avigdor Lieberman in die Knesset gewählt. Zehn Jahre später ist Israel Beiteinu die drittstärkste und regierungsentscheidende Kraft im israelischen Parlament. Lieberman war in diesem Jahrzehnt mehrmals Minister: Infrastruktur (2001/2), Verkehr (2003/4) und strategische Angelegenheiten (2006/7). Unter Netanjahu ist er jetzt Außenminister und stellvertretender Premierminister, das Gesicht des jüdischen Staates für die Außenwelt.
Dem braven Durchschnittsbürger Westeuropas muss Lieberman suspekt vorkommen, schon wegen seines starken russischen Akzents, den er nicht verbergen kann oder will. Gegen den neuen israelischen Außenminister wird polizeilich wegen des Verdachts der Korruption, des Betrugs, der Geldwäsche und Untreue ermittelt. Aber das ist offensichtlich ebenso wenig Grund für die Antipathie gegen ihn, wie die Geschichten, dass er als Rausschmeißer bei einem Nachtclub gearbeitet oder einen Nachbarsjungen verprügelt habe. Lieberman versteht es, sich volksnah oder wenig differenziert auszudrücken. Mit bestechend simplen Analysen, kernigen Formulierungen, drastischen Handlungsanweisungen und praktischen Lösungsvorschlägen macht er Schlagzeilen.
Als Ariel Scharon 350 palästinensische Gefangene im Sommer 2003 freiließ, meinte Lieberman, es sei besser, diese „im Toten Meer zu ersäufen, weil das der tiefste Punkt der Welt ist“. In Israel verstand niemand den Vorschlag Liebermans als konkrete Handlungsanweisung, sondern richtig als Kritik an dem Sicherheitsrisiko, das Scharon mit dieser Geste gegenüber den Palästinensern in Kauf nahm. Außerhalb Israels wurde der Vorschlag als Symptom blanken Rassenhasses gewertet.
Als die Hilf- und Ratlosigkeit der israelischen Regierung im Blick auf das weitere Vorgehen einige Jahre später nur zu offensichtlich war, schlug Lieberman vor, die Hamas-Führung ins Visier nehmen und den irrelevanten palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas einfach zu ignorieren. Die Palästinenser wollten sowieso keinen eigenen Staat, so Lieberman, sondern lediglich die Vernichtung des jüdischen Staates Israel. Und als dann im Januar 2009 die Befürchtung allgegenwärtig war, die israelische Armee könne sich in den von Extremismus und Bomben geschwängerten Sanddünen des Gazastreifens festfahren, unterbreitete Lieberman den Vorschlag, Israel solle „gegen die Hamas vorgehen, wie die Amerikaner gegen die Japaner im zweiten Weltkrieg“. Danach sei keine Besatzung mehr nötig. Medienvertreter interpretierten diese Bemerkung als Anspielung auf Hiroschima und Nagasaki, ergo als Befürwortung eines israelischen Atomschlags auf Gaza.
Vollends „rassistisch“ wird der israelische Außenminister, wenn er darüber sinniert, wie er sich die Zukunft des Landes zwischen Jordan und Mittelmeer vorstellt. Er wünscht sich nämlich zwei Staaten, je einen für jedes der beiden Konfliktvölker. Einen Staat Israel für das jüdische Volk, und einen Staat für die Palästinenser. Als verbindliche Rechtsgrundlage für seine Regierung betrachtet er ausdrücklich die so genannte Roadmap, den „Fahrplan für eine dauerhafte Zweistaaten-Lösung im israelisch-palästinensischen Konflikt“, der im Herbst 2002 vom „Quartett“ USA, EU, UNO und Russland vorgeschlagen und per Knessetbeschluss von Israel angenommen wurde.
Der Siedler Avigdor Lieberman ist sogar bereit, sein Haus in Nokdim aufzugeben, verlangt dafür aber eine greifbare Gegenleistung von arabischer Seite. Die einseitigen Zugeständnisse früherer israelischer Regierungen haben seiner Ansicht nach nichts gebracht. Jetzt soll ein anderer Wind wehen. Die Welt – und vor allem deren arabischer Teil – müsse verstehen, dass auch „die andere Seite“ eine Verantwortung trage. Lieberman verlangt, dass die israelische Außenpolitik endlich die Interessen Israels vertreten möge und nicht irgendwelche weltfremde ideologische Vorgaben aus dem verträumten Westen.
Von klischeehaften Formeln wie „Land für Frieden“, hält Avigdor Lieberman nichts, weil sie den Nahostkonflikt ignorant vereinfachen und auf sträfliche Weise die Wurzeln der Auseinandersetzung außer Acht lassen. Er kritisiert die „Friedensindustrie“, die nichts als Konferenzen in Luxushotels und Geldverschwendung erbracht habe. Es ist schwer auszumachen, ob Lieberman den Westen oder verflossene israelische Regierungen, denen er selbst angehört hat, auf den Arm nimmt, wenn er mit russischem Schachgesicht (oder wie heißt doch das Pendant zum amerikanischen Poker-Face?) meint: „Wenn wir das Wort Frieden zwanzig Mal am Tag wiederholen, bringt uns das dem Frieden keinen Schritt näher!“
Mit originellen Vorschlägen profiliert sich Lieberman zum Schreckgespenst aller, die bestimmte Rahmenbedingungen des Nahostkonflikts liebgewonnen haben. Er will darüber diskutieren, dass die großen Siedlungsblöcke beim Staat Israel bleiben – und ist bereit, dafür Land an einen künftigen Palästinenserstaat abzutreten, das schon vor 1967 zum jüdischen Staat gehört hatte. Damit positioniert er sich de facto links vom linken Spektrum im israelischen Parlament. So könnten, nach Vorstellung des israelischen Außenministers, die lautstarken Vertreter der islamischen Bewegung in Israel, etwa im Wadi Ara, ihren Traum vom Leben in einem arabisch-islamischen Staat Palästina verwirklichen, ohne Existenzängste der Juden zu schüren.
Interessanterweise bezichtigen deshalb diejenigen israelischen Araber, die sich bislang offen als Sympathisanten der Hamas oder Hisbollah bekannt haben, plötzlich den Besatzer Israel des Rassismus. Dabei will Lieberman entgegen allen anderslautenden Gerüchten weder Bevölkerung noch Land transferieren, sondern lediglich die Grenzen des jüdischen Staates Israel verlegen. Arabische Bürger Israels, die sich darüber beklagen, Bürger zweiter Klasse zu sein, haben so die Chance in einem prospektiven arabischen Palästina zu Bürgern erster Klasse aufzurücken. Übrigens, wenn arabische Israelis an der libanesischen Grenze in Ghajar mitsamt ihrem Besitz in den Libanon transferiert werden sollen, weil die UNO festgestellt hat, dass ihr Land nördlich der Blauen Linie liegt, oder wenn der syrische Präsident fordert, arabische Israelis auf den Golanhöhen nach Syrien zu transferieren, bezeichnet das niemand als rassistisch.
Avigdor Lieberman ist auch vielen Vertretern des rechten Spektrums der israelischen Gesellschaft nicht geheuer. Dort versteht man nicht, wie man einen, der Israels Territorium diesseits der Grünen Linie zur Debatte stellt, als „rechts“ oder „Nationalist“ bezeichnen kann. Hinzu kommt, dass der Russe Lieberman noch andere heilige Kühe des traditionellen israelischen Etablissements angreift. Eigentlich sind deutsche Autos für israelische Politiker tabu, aus historischen Gründen. Erstmals steht jetzt ein schwarzer Mercedes als Dienstfahrzeug des Ministers vor dem Außenministerium in Jerusalem und wenn Lieberman als begeisterter Fan der soliden Limousinen aus Stuttgart auftritt, verbreitet er eher die Atmosphäre eines russischen Mafiosi oder arabischen Warlords, als die eines Nachfahren osteuropäischer Ghettojuden.
Rabbi Ovadia Josef, geistliches Oberhaupt der ultra-orthodoxen Sefarden und ihrer Schass-Partei, hat Lieberman im Wahlkampf als „Amalek“ bezeichnet. „Amalek“ ist in der Bibel das Volk, das seine ganze Existenz in die Auslöschung des Volkes Israel investiert und deshalb selbst ausgelöscht werden soll (2. Mose 17,14-15; 5. Mose 25,17-19). Hintergrund für die Beschimpfung Josefs ist das Image Liebermans als Vertreter der schweinefleischfressenden Russen. Durch seine Forderung nach einer Zivilehe kratzt er an der rabbinischen Allmacht im Familienrecht. Wenn die Abstammung nicht einwandfrei oder die Religionszugehörigkeit fraglich ist, können Israels Rabbiner eine Eheschließung verweigern. Ausgerechnet der „Erzrassist“ Lieberman öffnet hier – aus Sicht der Orthodoxen – der Assimilation und damit Vernichtung des jüdischen Volkscharakters Tür und Tor.
Überhaupt gibt es in Israel Leute, die ganz offensichtlich nicht begreifen wollen, was aus westlicher Sicht so klar ist: dass Lieberman und seine ziemlich diktatorisch geführte Partei rassistisch seien. Da ist etwa der Druse Hamad Amar aus dem galiläischen Städtchen Schefaram. Dieser israelische Araber sitzt als Abgeordneter von Israel Beiteinu in der Knesset und viele seiner nichtjüdischen Landsleute mit israelischem Pass haben die Partei Liebermans gewählt. Sind sich diese Leute nicht über Liebermans radikale Ansichten im Klaren? Oder könnte es sein, dass die Darstellung des Politikers als „rechtsradikal“ eher Klischees als der Realität entspringt?
Lieberman hat einen nuklearen Iran als „die größte Bedrohung des jüdischen Volkes seit dem Zweiten Weltkrieg“ bezeichnet – sich aber eindeutig und unmissverständlich gegen einen militärischen Angriff Israels auf den Iran ausgesprochen, „selbst wenn Sanktionen versagen sollten“. Er befürwortet nicht nur seit langem einen palästinensischen Staat, sondern auch Israels Mitgliedschaft in der EU und in der NATO. Avigdor Lieberman ist zu Gesprächen mit Syrien bereit, allerdings ohne jegliche Vorbedingungen.
Der Israel-Beiteinu-Vorsitzende hat vor Jahren für Schlagzeilen gesorgt, als er andeutete, Israel könne im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung mit Ägypten den Asswan-Staudamm bombardieren. Seine Beziehung zum ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak ist legendär katastrophal. Doch in seiner Antrittsrede als Außenminister lobte er das Land am Nil als Stabilitätsfaktor und wenige Wochen darauf bekam er einen seiner ersten Besuche von dem mächtigen ägyptischen Geheimdienstminister Omar Suleiman. Damit deuten die entscheidenden Machthaber in Ägypten an, dass sie Avigdor Lieberman vielleicht nicht als sympathisch empfinden. Aber er ist wichtig genug, um gehört und wirklich verstanden zu werden.