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Liebe Leser,

zum Jahreswechsel wurden Sie im deutschsprachigen Europa von einer Welle an Meldungen und Kommentaren zum Streit zwischen Ultraorthodoxen und Säkularen in Israel überschwemmt. „Ist das Israel, das wir kennen und lieben in Gefahr?“, fragte sich mancher Beobachter.

Praktisch alle Reiseleiter, die deutsche Israelbesucher treffen, sind säkular. So „erfahren“ sie „die“ Orthodoxen als unnahbar, unheimlich, vielleicht sogar als Bedrohung; in jedem Fall aber als „Schmarotzer“, die sich mit fadenscheinigen Argumenten vor ihrer sozialen Verantwortung drücken. Übrigens: Messianische Juden und arabische Christen stehen in dieser Hinsicht fast ausnahmslos auf säkularer Seite.

Jeder gläubige Jude, der seinen Gott und die Bibel auch nur annähernd so ernst nimmt wie ein durchschnittlicher Gottesdienstbesucher in Deutschland, wird am Schabbat weder Autofahren noch telefonieren und schon gar nicht arbeiten. Weil Reisegruppen auch am Samstag betreut sein wollen, scheiden orthodoxe Juden als Tourguides von vornherein aus. Zu den Menschen, welche täglich die Synagogen füllen und bibelgläubigen Christen vielleicht am nächsten stehen, bekommt nur Kontakt, wer ihn gezielt sucht. Hinzu kommt noch eine Sprachbarriere, weil die überwältigende Mehrheit der deutschsprachigen Juden in Israel säkular ist.

Deshalb erfahren Christen nur selten aus erster Hand, dass sich orthodoxe Juden durch die säkulare Welt mindestens ebenso bedroht fühlen, wie säkulare Israelis durch ihre ultraorthodoxen Mitbürger. Die aggressive Einstellung und manchmal schlicht dumme Vorgehensweise der Orthodoxen ist nicht das Bild einer Gruppe, die drauf und dran ist, einen Staat zu erobern oder dessen Gesellschaft umzukrempeln. Sie vermitteln vielmehr den Eindruck von Menschen, die mit dem Rücken zur Wand stehen, Angst haben um den Fortbestand ihres Glaubens und ihrer Kultur.

Der Babylonische Talmud begründet die Geschlechtertrennung beim Gebet mit dem biblischen Text Sacharja 12,9-14. Der Prophet sieht, wie das Volk Israel schockiert trauert, als es feststellt, dass es „den Messias, den Sohn Josefs“ (so der Talmud!), durchstochen hat. Fünfmal wird in diesem Text betont, dass „die Frauen besonders“ trauern. „Wenn das aber unter der Herrschaft der Messias notwendig ist“, so folgern die rabbinischen Lehrer, „wieviel mehr jetzt, wenn wir der Herrschaft des Bösen Triebes unterworfen sind“ (Traktat Sukka 52a).

Der schwäbische Pfarrer Heiko Krimmer[1] beobachtet in diesem Text, der die Geschlechtertrennung propagiert, eine zutiefst neutestamentliche Komponente. In traditionellen religiösen Gesellschaften bleibt Frauen in aller Regel nichts anderes übrig, als im Kielwasser ihres Mannes zu segeln. Ledige Frauen haben im religiösen Leben nur wenig Bedeutung. Hier, in Sacharja 12, haben sie die gleiche Würde und die gleiche Entscheidungsfreiheit wie der Mann. Hier wird das vollzogen, was Paulus für die christliche Gemeinde feststellt: „Hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus“ (Gal 3,28).

Ihr Johannes Gerloff

Post scriptum für alle, die in nächster Zeit eine Israelreise planen: Keine Sorge! Wir fahren in den öffentlichen Verkehrsmitteln Jerusalems nach wie vor fröhlich Männlein und Weiblein gemischt – wie vom Gesetz des Staates Israel vorgeschrieben.


[1] Ich habe dich erwählt. Israel im Licht des Propheten Sacharja (Holzgerlingen: SCM Hänssler, 2010), 183-184.

Der Autor

By Published On: Januar 23, 20122,5 min read

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