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Mit dem Sechstagekrieg Anfang Juni 1967 wurde Israel zum Besatzer. So oder ähnlich sieht das zumindest aus heutiger Perspektive, in Anbetracht aktueller Axiome und Diskussionen um eine Lösung „des“ Nahostkonflikts zwischen Israelis und Palästinensern aus. Entsprechend ist auch von „den Grenzen von 1967“ die Rede, wenn es um die Linien geht, die den Gazastreifen und das Westjordanland vor 1967 vom jüdischen Staat Israel trennten.
Der Gazastreifen wurde zwischen 1949 und 1967 von Ägypten verwaltet, allerdings nie annektiert. Die Westbank stand im selben Zeitraum unter der Herrschaft des haschemitischen Königreichs Jordanien. König Abdallah I. hatte die umstrittenen Gebiete am 24. April 1950 formal annektiert, was von der weltweiten Staatengemeinschaft – mit Ausnahme Großbritanniens und Pakistans – nie anerkannt wurde. Im Rückblick erscheint 1967 so irgendwie als das Geburtsjahr der Idee von zwei Staaten für zwei Völker als Lösung für diesen Konflikt und ein gefühlt ideales Ende der israelischen Besatzung „Palästinas“.
Richtig ist, dass bereits die UNO-Resolution 181 vom 29. November 1947 die Lösung des Palästinaproblems in der Schaffung zweier Staaten, eines arabischen und eines jüdischen sah. Richtig ist auch, dass die politische Vertretung der jüdischen Bevölkerung des damaligen britischen Mandatsgebiets Palästina, diese Zweistaatenlösung – wenngleich nicht wirklich mit Freude, aber immerhin – akzeptierte. Die maßgeblichen arabischen Führer lehnten den Teilungsplan vom November 1947 ebenso ab, wie alle seine Vorgänger, bis hin zum Teilungsvorschlag der Peel-Kommission aus dem Jahr 1937, die aus dieser Perspektive wohl als Mutter aller Zweistaatenlösungen gesehen werden muss. Einzigartig wurde die UNO-Resolution 181 dadurch, dass ihre Umsetzung von einer Staatengemeinschaft mit Krieg beantwortet wurde.
Vor 1937 war kaum von einer Teilung des Gebiets zwischen Jordan und Mittelmeer die Rede. Zu frisch war wohl noch der Eindruck der Teilung, die Großbritannien mit dem ihm anvertrauten Mandatsgebiet Palästina 1922 vollzogen hatte. Damals hatten die Briten dem haschemitischen Emir Abdallah mehr als 75 Prozent des Gebietes als „Transjordanien“ zugesprochen, das ihnen eigentlich zur Schaffung einer jüdischen Heimstätte anvertraut worden war. Die Konferenz von San Remo vom April 1920 hatte in Folge des Vertrages von Versailles die Reste des Osmanischen Reiches in der Levante, Mesopotamien und der Arabischen Halbinsel – einmal abgesehen von britischen und französischen Interessensphären – unter Arabern und Juden aufteilen wollen.
Emir Faisal, ein Bruder Abdallahs, hatte in Vertretung seines Vaters Hussein, des „Königs der Araber“, in seinem berühmten Abkommen mit Chaim Weizman, dem Anführer der zionistischen Bewegung, am 3. Januar 1919 der Schaffung einer jüdischen Heimstätte in „Palästina“ (damals das gesamte Gebiet des heutigen Israel, der Palästinensischen Autonomiegebiete und Jordaniens) nicht nur zugestimmt, sondern gar versprochen, die Einwanderung von Juden aus aller Welt dorthin zu unterstützen. Enthusiastisch schwärmt das Abkommen von der „rassischen Verwandtschaft und den uralten Verbindungen zwischen Arabern und dem jüdischen Volk“ und verspricht die „engst mögliche Zusammenarbeit in der Entwicklung des arabischen Staates [im heutigen Syrien, Irak, Jordanien und Saudi-Arabien] und [eines jüdischen!] Palästinas“.
Doch ist das alles relevant für eine Beurteilung des aktuellen Stands der Diskussion um die Zweistaatenlösung? – Für die Vereinten Nationen schon. Sie wollen allen nationalen Anstrengungen – etwa der Kurden – zum Trotz, an einer Staatenordnung festhalten, die die Siegermächte des Ersten Weltkriegs dem Orient aufoktroyiert hat. Auch für die Kämpfer des so genannten Islamischen Staates, die „das Ende von Sykes-Picot“ verkündeten, als sie die Grenzmarkierungen zwischen Syrien und dem Irak zerstörten, sind die Entscheidungen der europäischen Politiker vom Anfang des 20. Jahrhunderts hochaktuell. Und schließlich spielt der 90-jährige Siedlerführer Eljakim HaEtzni darauf an, wenn er sein Leben in Kirjat Arba bei Hebron rechtfertigt: „Aufgrund der Entscheidungen des Völkerbunds habe ich als Glied des jüdischen Volkes ein Recht in Palästina zu siedeln. Dieses Recht kann mir auch ein jüdischer Staat Israel nicht absprechen.“
In Anbetracht des Fühlens und Denkens der Menschen, die unmittelbar von der „Zweistaatenlösungs-Diskussion“ vor Ort betroffen sind, seien es nun Juden oder Araber, erscheinen die historischen Entwicklungen der vergangenen einhundert Jahre hoch aktuell. Die Ablehnung der Zweistaatenlösung durch die Araber 1947-1949 prägt bis heute jüdisches wie palästinensisches Denken. Es waren die arabischen Verhandlungspartner, die in den Abkommen von Rhodos Anfang 1949 den Begriff „Grenzen“ für die Waffenstillstandslinien ablehnten, weil sie sich weigerten einen jüdischen Staat in welchen Grenzen auch immer anzuerkennen. Zwischen 1949 und 1967 waren alle heute als „Palästinensergebiete“ für die Schaffung eines Staates Palästina von der internationalen Gemeinschaft geforderten Gebiete in arabischen Händen – ägyptisch verwaltet, beziehungsweise jordanisch annektiert. Meines Wissens hat in dieser Zeit niemand die Schaffung eines palästinensischen Staates gefordert, schon gar nicht „Seite an Seite“ mit einem jüdischen Staat Israel.
Auch wenn heute Darstellungen der Entwicklungen einer Zweistaatenlösung auf die Abkommen von Madrid und Oslo, sowie diverser UN-Resolutionen in deren Vorfeld bis hin zum Ende des Sechstagekrieges verweisen: In keinem dieser rechtlich bindenden Dokumente ist von „zwei Staaten für zwei Völker“ die Rede. Schon das Abkommen von Camp David, das am 17. September 1978 den Friedensschluss zwischen Ägypten und Israel besiegelte, versprach den Palästinensern lediglich eine Autonomie, aber keinen eigenen Staat. Keine der relevanten UNO-Resolutionen spricht von einer Zweistaatenlösung.
Joel Fishman[1] vom Jerusalem Center for Public Affairs, einem Netanjahu-freundlichen israelischen Think Tank, sieht die Zweistaatenlösung als Instrument einer politischen Salami-Taktik. Arafat-Weggefährte Salah Khalaf alias „Abu Ijad“ habe sie in den 1970er-Jahren bei einem Besuch in Hanoi von den Nordvietnamesen übernommen. Das Ziel dieser Vorgehensweise hätten die nordvietnamesischen Kommunisten 1975 erreicht, als der letzte amerikanische Soldat per Hubschrauber vom Dach der US-Botschaft in Saigon floh. Laut Fishman wäre eine Zweistaatenlösung letztlich der „Politizid“ – ein politischer Selbstmord – des jüdischen Staates Israel.
Wenn Israelis heute betonen, die Zweistaatenlösung liege im Interesse Israels, der Charakter eines jüdischen und gleichzeitig demokratischen Staates Israel könne anders nicht bewahrt werden, geht es ihnen darum, die Palästinenser und vor allem Israels Verantwortung für dieselben loszuwerden. Ethnische Säuberungen, die noch vor einem halben Jahrhundert von der Weltöffentlichkeit als Mittel zur Lösung ethnischer und territorialer Konflikte akzeptiert waren, kommen heute nicht mehr in Frage. Deshalb bleibt nur die Schaffung eines Staates, in dem Palästinenser ihr Leben selbst gestalten können.
Doch was selbst die palästinenserfreundlichsten Israelis ihren Nachbarn als „Staat“ anbieten, kann nicht einmal von den dialogbereitesten palästinensischen Nationalisten als „Staat“ akzeptiert werden. Auch diejenigen Israelis, die bis in die Gegenwart am Traum einer Zweistaatenlösung festhalten und kaum noch Rückhalt in der eigenen Gesellschaft haben, bieten ihren palästinensischen Nachbarn im besten Fall eine Autonomie, die als „Staat“ bezeichnet werden soll.
Konkret: Niemand, der die politische Lage in und um Israel kennt, und ein prosperierendes, sicheres, jüdisches Israel will, kann sich vorstellen, dass „Palästina“ eine Luftwaffe hat, wie Israel; eine Flotte besitzen wird, wie Israel; seinen Luftraum oder die elektronische Sphäre managen könnte, als gäbe es kein Israel. „Palästina“ wird neben einem jüdischen Israel in absehbarer Zeit weder seine Außengrenzen wirklich souverän beherrschen, noch seine Außenpolitik frei bestimmen oder gar seine iranischen Freunde in ähnlicher Weise zu militärischem Training nach Ramallah einladen können, wie das Israel mit seinen deutschen oder amerikanischen Freunden im Negev tut.
Aus israelischer Sicht wurde in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten die Formel „Land für Frieden“, die letztendlich der Idee einer Zweistaatenlösung zugrunde liegt, ad absurdum geführt. Tatsächlich hat der jüdische Staat für kein einziges Stück Land, aus dem er sich in den vergangenen Jahrzehnten zurückgezogen hat, Frieden bekommen, sondern nur Raketen und andere sicherheitsrelevante Herausforderungen. Das gilt für den Sinai, der Anfang der 1980er Jahre an Ägypten abgegeben wurde. Das gilt für den Südlibanon, aus dem sich Israel im Frühjahr 2000 zurückzogen hat. Und das gilt für den Gazastreifen, aus dem Israel 2005 alle jüdischen Siedlungen geräumt hat.
Auf palästinensischer Seite sind ebenfalls kaum Menschen zu finden, die eine realistische Zweistaatenlösung vor Augen haben. Bereits 2006 hat der palästinensische Wähler mit überwältigender Mehrheit der radikal-islamischen Hamas das Vertrauen ausgesprochen, die die Anerkennung eines jüdischen Staates auf jeglichem islamischem Boden grundsätzlich ausschließt. Selbst säkulare, hebräisch-sprechende, weltoffene Palästinenser äußern unverhohlen die Ansicht: „Die Kreuzfahrer waren zweihundert Jahre in Palästina. Die Juden werden nicht so lange hier herrschen.“
Die Frage ist nicht, ob unter westlichen Gesichtspunkten, im Rahmen westlicher Denkstrukturen und auf der Grundlage einer westlichen Logik die Zweistaatenlösung das Beste oder gar die einzig vorstellbare Antwort auf das palästinensisch-israelische Schlamassel ist. Entscheidend ist, ob die vor Ort an diesem Konflikt Beteiligten eine Zweistaatenlösung als „ihr“ Ziel erkennen, mit dem sie sich identifizieren können, und das sie aktiv verfolgen, auch wenn ihnen das schmerzhafte Opfer abverlangen sollte. Bislang scheint dazu aber weder die israelische noch die palästinensische Seite bereit.
Deshalb ist es müßig, die Zweistaatenlösung in Europa oder Amerika als gut oder schlecht beurteilen zu wollen. Der Westen sollte endlich die Lehren aus dem Abkommen von Sykes-Picot ziehen, das gegen Ende des Ersten Weltkriegs das Osmanische Reiche in eine britische und eine französische Interessensphäre aufteilte und letztendlich die Grundlage der Staatenordnung bildet, die den Orient im zurückliegenden Jahrhundert geprägt hat. Eine im Westen erdachte politische Ordnung lässt sich im Nahen Osten nur mit Hilfe von Diktatoren aufrechterhalten und ist deshalb in jedem Fall letztendlich zum Scheitern verurteilt. Der „Arabische Frühling“ und seine scheußlich blutigen Folgen sind das beste Zeugnis dafür.
Fußnoten:
[1] „The Delusion of the “Two-State Solution”,“ vom 12. Februar 2017 http://mida.org.il/2017/02/12/the-delusion-of-the-two-state-solution/ (21.7.2017).