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Zur Zeit wird in Israel der beliebten israelischen Dichterin, Sängerin und Liedermacherin Naomi Schemer gedacht. Sie starb vor 20 Jahren, aber ihr Werk lebt weiter, und zwar nicht nur in ihrem Heimatland, sondern auch weltweit. So hat zum Beispiel im Februar dieses Jahres der in Amerika lebende iranische Sänger Dara ein breites Publikum mit seiner Interpretation ihres Liedes „Churschat haEukalyptus“ (Der Eukalyptushain) überrascht.

Geboren wurde sie als Naomi Sapir am 13. Juli 1930. Aufgewachsen ist sie im Kibbutz Kinneret am Ufer des Sees Genezareth – dessen Eukalyptus-Haine sie mit viel Gefühl besingt. Ihre Familiengeschichte ist die Geschichte der jüdischen Pioniere. Sie haben die heute riesigen Eukalyptusbäume seit 1912 gepflanzt und die Kämpfe im Unabhängigkeitskrieg im Kibbutz Deganja durchgestanden: „Als Mama hierher kam, so hübsch und jung, hat Papa ihr das Haus auf dem Hügel gebaut, …seither ist ein halbes Jahrhundert vergangen, der Eukalyptus Hain, die Brücke, das Boot, sind noch da… am anderen Ufer dröhnten die Kanonen. Zum Ende des Sommers ist die Ruhe wieder eingekehrt…“

Vom Kibbutz Kinneret ging Naomi Sapir über die Jordanbrücke in den Kibbutz Deganja zur Schule. Mit sechs Jahren fing sie an das Klavier zu spielen, das ihre Mutter als Geschenk bekommen hatte, und das allen Kindern im Kibbutz zur Verfügung stand. Damals war so ein Instrument etwas ganz besonderes. Später studierte sie auf Musikschulen in Tel Aviv und Jerusalem, um dann als Musik- und Rhythmiklehrerin in den Kibbutz zurückzukehren. Für Kinder schrieb sie ihre ersten Lieder. Im Militär diente sie in der Kulturabteilung der Einheit „Nachal“. Danach heiratete Naomi den Schauspieler Gideon Schemer und zog mit ihm nach Tel Aviv.

Eine Zeitlang arbeitete sie eng mit der Musikband von Nachal und anderen Militärkapellen zusammen. Dieses Umfeld war der fruchtbare Boden, aus dem einige berühmte israelische Sänger und Musiker kamen. Nicht wenige der guten alten israelischen Schlager entstanden dort. Mancher sehnt sich beim Klang der modernen israelischen Popmusik nach diesen Zeiten zurück. Ein alter Filmstreifen hat festgehalten, wie Naomi Schemer bei einer Probe die hübsche, damals im Militär noch ganz neue und unerfahrene Jardena Arazi anleitet und erschreckt.

Das Lied „Hoppa hey“, ursprünglich für die zentrale Kommandotruppe geschrieben, gewann 1960 den ersten Preis auf einem internationalen Festival in Italien. Am bekanntesten ist aber wohl ihr Lied „Jerusalem aus Gold“, dessen Titel aus alten jüdischen Legenden stammt. „Jeruschalaim schel zahaw“ erklang zum ersten Mal im Rahmen des israelischen Gesangsfestivals („Festival haZemer veHaPizmon“) 1967 in Jerusalem, allerdings nicht als eines der Lieder, die dort miteinander wetteiferten. „Jeruschalaim schel zahaw“ war – mit anderen vier Liedern – im Auftrag des Jerusalemer Bürgermeisters Teddy Kollek geschrieben worden und dazu gedacht, die Beratungszeit der Preisrichter zu überbrücken.

Als sich Naomi Schemer bereits für dieses Motiv entschieden hatte, überkamen sie Zweifel: „Wisst ihr noch, wie grau und wenig golden Jerusalem damals war; wie man überhaupt nicht erhaben über die Stadt reden konnte; wie weit sie von einem Paradies entfernt war? Ganz wie im Hohenlied in der Bibel: ‚…nicht wecken und nicht stören…‘ (Hoheslied 2,7). Ich wurde von Ehrfurcht ergriffen und fragte mich: ‚Aus Gold? Bist du dir sicher: Gold? Und etwas in mir gab mir die Antwort: ‘Ja natürlich, aus Gold!‘“[1]

Das Festival war Teil der Unabhängigkeitsfeierlichkeiten. Drei Wochen später, im Sechstagekrieg, fielen die Altstadt mit dem Tempelberg und der Klagemauer wieder in jüdische Hände. Die Dichterin fügte unter diesem Eindruck ihrem Lied noch eine weitere Strophe hinzu: „Wir kehrten zurück zu den Wasserquellen und zum Markt, das Schofarhorn ruft wieder auf dem Tempelberg in der Altstadt… Und zum Toten Meer gehen wir wieder durch Jericho.“

Später wurde sie beschuldigt, die Melodie abgeschrieben zu haben. Anfangs wehrte sie sich vehement gegen diesen Vorwurf. Erst gegen Ende ihres Lebens schrieb sie an ihren Freund Gil Aldama, man hätte ihr einmal ein baskisches Volkslied vorgesungen. Das hätte sie vergessen. Aber irgendwie war die Melodie ihr unbewusst im Kopf hängen geblieben. Später habe sie sich daran erinnert. Offensichtlich hat dieser Vorwurf Naomi Schemer sehr beschäftigt – wobei es aber eher natürlich ist und immer wieder vorkommt, dass Musiker sich von anderen Melodien beeinflussen und inspirieren lassen.

Das Festival der hebräischen Lieder, in dem es damals vor allem um Originalität ging, wurde erstmals im Jahr 1960 im Tel Aviver Kulturzentrum veranstaltet, im Radio Kol Israel und später auch im Fernsehen übertragen. Dieses Festival gab es zwanzig Jahre lang, bevor es wegen der Eurovision, auf die sich israelische Sänger immer mehr konzentrierten, eingestellt wurde. Die Originalität hebräischer Lieder blieb noch eine Zeitlang erhalten und wurde in der Eurovision mit Preisen belohnt.

Eine viel längere Tradition hat das Festival Ein Gev. Die Kibbutzmitglieder hatten keine Möglichkeit, in die Stadt zu fahren oder Künstler einzuladen. Deshalb fingen sie im April 1943 an mit eigenen Mitteln vor Ort ein Festival zu veranstalten, auf dem klassische Musik, aber auch israelische Lieder vorgetragen wurden. Im Rahmen dieses Festivals stellte Naomi Schemer 1993 ihr Lied „Hakol patuach“ vor: „Alles ist möglich, solange wir hier so singen“. 2002 wurde das ganze Ein Gev Festival ihren Liedern gewidmet. Das Programm moderierte ihr Freund Ehud Manor, ebenfalls ein Genie des israelisch-hebräischen Liedguts.

Naomi Schemer schrieb Lieder für ganz unterschiedliche Interpreten, die ihr Werk weltweit bekannt machten – wie etwa Schuli Natan, deren Stimme von Anfang an mit dem Lied „Jeruschalaim schel zahaw“ untrennbar verbunden ist. 2002 hat sie es noch einmal in Ein Gev gesungen.

Doch Naomi hat immer wieder auch selbst gesungen und wurde von ganz unterschiedlichem Publikum, seien es Kinder oder Erwachsene, mit viel Liebe empfangen. Mehrfach hat sie an Veranstaltungen der Kunstschule in Tel Aviv teilgenommen. Zum jüdischen Neujahr, Rosch haSchanah, schrieb sie das Lied „Schana Towa“: „Ob das Jahr gut wird, ob wir Enttäuschung vergessen, hängt letztendlich an uns…“

In Naomi Schemers Liedern entdeckt man immer wieder biblische Motive, etwa im oben erwähnten Lied über Jerusalem: „Vergesse ich dich Jerusalem…“ (Psalm 137,5). Die hebräische Aufforderung „Hallelu Jah!“ – „Lobet den Herrn!“ – ist selbstverständlicher Teil vieler ihrer Lieder.

Die Bedrohung und der Militärdienst junger Israelis gehören zum Alltag in Israel und finden auch Ausdruck in einigen Liedern, sei es im fröhlichen „Mein Soldat ist zurückgekommen“, oder auch im traurigen „Wir sind beide aus dem gleichen Dorf“, ein Lied, das einem gefallenen Freund gewidmet ist und das bis heute an Erinnerungstagen für gefallene Soldaten vorgeführt wird.

Naomi Schemer schrieb viele eigene Texte und Melodien, konnte aber auch wunderbar Liedtexte aus anderen Sprachen übertragen. So hat sie einige französische Chansons aus ihrer Pariser Zeit ins Hebräische übersetzt, vor allem für den israelischen Schauspieler und Sänger Jossi Bannai, der seine Karriere ebenfalls in der Nachal Militärband begonnen hat.

Auf Anfrage der Sängerin Chawa Alberstein sollte sie für das Beatles-Lied „Let it be“ einen hebräischen Text verfassen. Das war zur Zeit des schweren Jom Kippur Kriegs und Naomi lag am Herzen, etwas Ermutigendes zu schreiben. Sie entschied sich für den Titel „Lu jehi“, was so viel bedeutet wie „Lass sein!“, eher aber noch: „Lass es werden!“, was im Refrain zum Ausdruck kommt: „Alles, was wir bitten, möge geschehen!“ Als Mordechai Horowitz, ihr zweiter Mann, diesen Text hörte, fand er ihn zu schade für eine Melodie der Beatles, und bat seine Frau eine eigene Melodie zu schreiben. So entstand mit „Lu jehi“ ein vollkommen neues Lied.

Schemer übertrug das Gedicht „Oh Captain, my Captain“ von Walt Withman ins Hebräische, das er nach der Ermordung von Abraham Lincoln geschrieben hatte, und widmete es dem ermordeten israelischen Premierminister Jizchak Rabin, obwohl sie dessen politische Einsichten nicht teilte. Meital Trabelski gab dem Lied seinen sehr dramatischen Ausdruck.

Naomi Schemer verstand sich selbst als eine Liedermacherin, die für alle schreibt. Und das war sie auch. Als Tochter jüdischer Siedler, die vor der Entstehung des Staates ins Land Israel gekommen waren, war sie überzeugte Zionistin und liebte das Land. Deswegen war sie auch gegen jede Gebietsabgabe und die Räumung der israelischen Siedlungen auf der Sinaihalbinsel. Für sie gab es keinen Unterschied zwischen der jüdischen Besiedlung des Sinai, Judäas und Samarias oder der Gegend um den See Genezareth. Dadurch wurde sie, ob sie wollte oder nicht, politisch. Ihr Lied „Al kol ele“, dass sie nach dem Tod ihres Schwagers geschrieben hat und in dem sie um Bewahrung Gottes bittet, wurde zum Protestlied gegen die Räumung des Sinai, vor allem auch wegen einer Aussage in der zweiten Strophe: „Entwurzele bitte nicht das Gepflanzte! Vergiss nicht die Hoffnung! Bring uns zurück und wir werden in das gute Land zurück kehren…“

1987 wurde ihr Lebenswerk mit dem Israelpreis gewürdigt. Dann wurde bekannt, dass Naomi Schemer an Krebs erkrankt war. Deshalb veranstalteten befreundete Kollegen 1991 ein Abschiedskonzert. Dort wurde auch das schwermütige Lied Schemers vorgetragen: „Es ist traurig im Tammuz zu sterben… wenn die Pfirsiche reifen…“ Tammuz ist der jetzige Sommermonat im hebräischen Kalender. Naomi meinte danach, es sei ihren Freunden nicht gelungen, sie zu verabschieden. Nicht nur, dass sie noch lebe, sondern sie werde noch viele Jahre leben. Ihrer Krankheit zum Trotz lebte sie tatsächlich noch 13 Jahre und starb dann doch am 7. Tammuz 5764, am 26. Juni 2004 unserer Zeitrechnung. Beerdigt wurde sie Auf dem Friedhof von Kibbutz Kinneret am Ufer des See Genezaret.

Vor mehr als zehn Jahren wurde eine neue Serie israelischer Banknoten entwickelt auf der, die „Porträts bedeutender hebräischer Dichter, deren Lebensgeschichte, Werk und Wirken untrennbar mit der Geschichte der Wiedergeburt der Nation und des Landes Israel verbunden sind“[2], abgebildet werden sollten. Das Bild von Naomi Shemer wurde ernsthaft in Erwägung gezogen, aber schließlich verworfen.

Ihre Liebe zum Land Israel und ihre Verbundenheit mit dem Leben der einfachen Menschen hat viele angesprochen und tut es noch heute. Ihre Texte bringen das zum Ausdruck, was Israelis „Israeliut“ nennen: ihre Mentalität, ihre Gedanken- und Gefühlswelt, ihr innerstes Wesen.

 

Fußnoten:

[1] Aus http://jwa.org/encyclopedia/article/shemer-naomi (27.05.2013): “One needs to remember how gray and lacking in gold Jerusalem was then, and how one could not speak highly of it or have parades there. Like the saying ‘Do not wake or rouse’ [Song of Songs 2:7], I was awestruck and asked myself: Of gold? Are you sure about the gold? And something answered me: Absolutely, of gold.”

[2] https://boi.org.il/en/economic-roles/banknotes-and-coins/ (16.07.2024).

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By Published On: Juli 17, 20248,7 min read
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