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Liebe Leser,
„Woher kommen Sie?“ lautet die Frage an der Einfahrt zum Ben-Gurion-Flughafen. Wie aus einem Munde antworten mein Taxifahrer und ich: „Netanja/Jerusalem“ – also: Schimon antwortet: „Netanja!“ – ich: „Jerusalem!“ Verdutzt sehen wir einander an, bis Schimon erklärt: „Du kommst aus Jerusalem, ich aus Netanja – und überhaupt: Warum redest Du mir dazwischen?!“ Der Sicherheitsmann lacht: „Fahrt zu!“
Schimon fährt an, lässt sein Seitenfenster hochfahren und schnauzt mich an: „Du Idiot! Am Flughafen sagt man nie, dass man aus Jerusalem kommt. Sonst grillen die einen!“ Auf diese Idee wäre ich nie gekommen. Ich hatte noch nie Schwierigkeiten, weil ich aus Jerusalem komme. Aber Schimon stammt aus Kurdistan. Er hat Erfahrungen mit arabischem Aussehen und orientalischem Akzent.
Es gibt Rassismus in Israel – und Berichte darüber werden in Europa aufgesogen wie frisches Wasser von Verdurstenden. Wenn einige Hundert Äthiopien-stämmigen Israelis in Tel Aviv oder Jerusalem demonstrieren, macht das Schlagzeilen in Deutschland. Niemand fragt, warum die meisten Verletzten Polizisten waren. Wenn die Meldung erscheint, Israel führe getrennte Buslinien ein, folgt man im Abendland reflexartig der israelischen Opposition. Die hat längst verstanden, dass „Rassismus!“ als empörter Aufschrei Erfolg garantiert, wenn man Aufmerksamkeit erheischen will.
Dass an deutschen Flughäfen ebenfalls segregiert wird, scheint niemandem aufzufallen. Dort gibt es gesonderte Passkontrollen für „EU-Bürger“ und „alle Pässe“. Asiaten und Afrikaner müssen sich auf der einen Seite anstellen. Engländer, Franzosen und Deutsche auf der anderen. Jetzt mag jemand einwenden: Ja, aber es gibt doch auch „andersrassige“ Menschen mit EU-Pass. Die Unterscheidung zwischen „EU-Bürgern“ und „Sonstigen“ auf dem Frankfurter Flughafen hat doch nichts mit Rassismus zu tun.
Richtig! Und genau dasselbe gilt für Israel. Araber mit israelischem Pass, ja selbst Palästinenser, die eine Daueraufenthaltserlaubnis in Israel haben, dürften ohne weiteres die so genannten „Siedlerbusse“ benutzen – und Araber, die als Soldaten ihren Dienst in der israelischen Armee tun, sowieso.
Vermutlich gibt es – abgesehen von der Antarktis – auf allen Erdteilen unseres Planeten Rassismus. Entscheidend ist, wie ein Land mit den Vorurteilen in der eigenen Gesellschaft umgeht.
Nein, der Rassismus in der israelischen Gesellschaft wird nicht besser dadurch, dass man darauf verweist, dass es woanders auch nicht besser ist. Das sollte aber auch umgekehrt gelten! In vieler Hinsicht könnte Israel für westliche Länder als Vorbild herhalten, wenn es darum geht, wie Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe, Mentalität, Sprache und Religion miteinander leben – und wie sie mit Vorurteilen in ihren eigenen Reihen umgehen.
Den Vergleich in Sachen Rassismus und Diskriminierung mit anderen Ländern in Nordafrika und dem Nahen Osten wollen wir an dieser Stelle einmal unter den Tisch fallen lassen. Nur so viel: Ein Palästinenser genießt im Orient nirgends so viel persönliche Sicherheit, so viele Freiheiten, so viel Rechtssicherheit und so viele Entwicklungsmöglichkeiten wie unter israelischer Besatzung. Das sollte als Tatsache doch ab und zu auch einmal Erwähnung finden.
Mit herzlichen Grüßen aus Jerusalem,
Ihr Johannes Gerloff