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Liebe Leser,
in Deutschland begegnet mir immer wieder sinngemäß folgende Aussage: „Wir haben ja nichts gegen das israelische Volk, aber die Regierung Israels…“ Auf diese Einleitung folgt dann nicht selten eine Kritik, die der Urheber prophylaktisch und möglichst umfassend gegen jeden Vorwurf des Antisemitismus abgesichert wissen möchte.
Aber Israel ist tatsächlich eine Demokratie. Das Volk Israel ist durchaus verantwortlich für die Leute, die sich in seiner Knesset anschreien, gegenseitig mit Wasser begießen, den Holocaust in den unmöglichsten Situationen als Vergleich bemühen und sich überhaupt nicht selten weit weniger würdig verhalten, als das Volksvertretern anstehen sollte.
Wenn Benjamin Netanjahu in den vergangenen vier Jahren einer der stabilsten Regierungen in der Geschichte des modernen Staates Israel vorstand, dann hatte das vor allem mit dem Rückhalt zu tun, den er im Volk besaß – oder vielleicht auch mit dem Mangel an Führungsalternativen, die das Volk zu bieten hatte. Oft hatte er „die schlechtesten Karten, die man sich vorstellen kann auf die Hand bekommen, um sie blendend auszuspielen“ – wie ein Journalistenkollege den Wahlausgang im Januar kommentierte: „Dieses Mal hatte er die besten Karten auf der Hand, die man sich vorstellen kann – und hat sie so schlecht ausgespielt, wie das keiner erwartet hat.“ Die schmerzhafte Quittung dafür hat er vom Wähler in Form einer „gelben Karte“ bekommen.
Regierung und Parlament Israels sind ein treuer Spiegel der israelischen Gesellschaft, so meine Beobachtung. Daran ändern auch die in Europa so gern gehörten und von Europa gut bezahlten israelischen Stimmen nichts, die den Europäern das sagen, was sie hören wollen.
Wer also Kritik an der israelischen Regierung hat, mag ruhig beim Namen nennen, wer für diese Regierung verantwortlich ist: Die Knesset und das Volk, das seine Vertreter in die Versammlung in Jerusalem entsandt hat.
„Toute nation a le gouvernement qu’elle mérite“ – „jedes Volk hat die Regierung, die es verdient“. Dieser Satz des französischen Philosophen Joseph Marie de Maistre (1753-1821) gilt nicht nur für Israel, sondern auch für seine Nachbarn. Der Konflikt in Syrien hat in den vergangenen zwei Jahren mehr Todesopfer gefordert, als der israelisch-arabische Konflikt in den vergangenen sieben Jahrzehnten. Die UNO spricht von mehr als 60 000 Toten im syrischen Bürgerkrieg. In Ägypten wird die Angst vor einem Bürgerkrieg offen ausgesprochen. Über den Zustand der Regierung in Jordanien darf nur ehrlich reden, wer bereit ist, sich als regierungsfeindlich einstufen zu lassen.
Damit will ich nicht jeden einzelnen Syrer oder Ägypter für die furchtbare Heimsuchung seiner Heimat verantwortlich machen. Aber das Böse, das in der Region so grauenhaft ausbricht, ist den Völkern auch nicht einfach nur von außen aufgezwungen.
Leider wird nur selten ein gutes Volk von einer bösen Regierung unterdrückt. Weit häufiger hält eine Regierung das Böse im Volk notdürftig in Schach. Dabei sind die Regierenden nur selten besser als ihr Volk. Wichtig für unsere Analysen ist die Erkenntnis, dass „das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens böse ist von Jugend auf“ (1.Mose 8,21). Deshalb ist unser Gebet gefragt, für die Völker und ihre Regierungen – nicht nur hier im Nahen Osten.
Mit herzlichem Schalom grüßt Sie aus Jerusalem,
Ihr Johannes Gerloff