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Liebe Leser,
mehr als 40 Millionen Menschen weltweit sind gegenwärtig auf der Flucht vor Verfolgung, gewaltsamen Konflikten, Krieg und Menschenrechtsverletzungen. So die Angaben der Vereinten Nationen. Der Schmerz, der mit dem Verlust der Heimat verbunden ist, verfolgt aber weit mehr Menschen – manche ein Leben lang. Viele bleiben gefangen in ihren Träumen, werden gejagt von Illusionen oder sehnen sich nach Utopien.
„Flüchtlinge brauchen Hilfe! Was kann ich tun?“ Dieser Satz läuft als Werbebanner auf der Internetseite des „Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen“ (UNHCR). Die materielle Not und der körperliche Schmerz sind dabei ganz offensichtlich nicht die größten Probleme.
Israel erinnert sich an seinen Stammvater Abraham als „umherirrenden Aramäer“ (5. Mose 26,5). Das Neue Testament stellt fest, dass er das, was ihm verheißen war, nie erlangt hat, sondern nur von ferne zu sehen bekam. Er war „Gast und Fremdling“ im gelobten Land (Hebräer 11,13). Eigentlich war der Stammvater des jüdischen Volkes ein Leben lang „Flüchtling“. In die „Flucht“ geschlagen hatte ihn der lebendige Gott selbst: „Verlasse deine Heimat, deine Verwandtschaft, dein Vaterhaus!“ (1. Mose 12,1).
Die Ausleger dieser Bibelstelle sind sich darin einig: Abram – so hieß er damals noch – musste alle Brücken hinter sich abbrechen. Er musste aufhören, zurück zu blicken. Nur so wurde er frei für das Neue, das Gott ihm zeigen wollte, in das Gott ihn mitnehmen wollte, das Gott schaffen wollte. Im Rückblick auf die viertausend Jahre, die seither vergangen sind, muss man feststellen: Die Nachkommen Abrahams, denen die Verheißung nach ihm gilt, sind bis heute noch nicht angekommen. Sie sind noch immer auf dem Weg.
Die Geschichte von Abraham hat mich während meiner ganzen Recherchenarbeit an der Geschichte der jüdischen Flüchtlinge aus arabischen Ländern irgendwie begleitet. Dabei hat mich der Gedanke gepackt und seither nicht mehr los gelassen: Es gibt Flüchtlinge, die lassen sich von Schmerz und Leid hinreißen, zerstören sich selbst und andere. Und es gibt Flüchtlinge, die erkennen – bewusst oder unbewusst – das Potential in dem Schrecklichen, das sie erfahren mussten und machen etwas Positives daraus.
Wenn wir daran glauben, dass unser Vater im Himmel der Herr der Geschichte ist, dann ist unser Blick nach vorne gerichtet. Dann schwelgen wir nicht in einer verlorenen Vergangenheit, die umso rosiger zu werden scheint, je weiter sie zurückliegt. Dann werden wir frei, die Chancen zu erkennen, die in einer Entwurzelung liegen. Vielleicht wird uns sogar die Notwendigkeit klar, Altes und Vertrautes loszulassen, wenn Neues entstehen soll. Schon ganz am Anfang der Bibel wird klar gemacht, dass „ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen“ muss, bevor eine neue Familie entstehen kann (1. Mose 1,24).
Mit herzlichen Grüßen aus einem sommerlich heißen Jerusalem,
Johannes Gerloff