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Liebe Leser,
„Lech Lecha!“ fordert Gott den Abram auf. Die meisten Bibelübersetzungen geben das lapidarisch wieder mit: „Geh!“ (1. Mose 12,1). Doch einfach nur „Geh!“ würde „Lech!“ bedeuten. Kurz angebunden, forsch, frech: „Hau ab!“ – Wenn Gott will, dass Abram seine Sachen packt und sich auf den Weg macht, warum fordert er nicht einfach nur: „Lech!“?
In der Formulierung „Lech Lecha“ steckt mehr, als nur die Aufforderung, sich auf den Weg zu machen. Das deutet Martin Buber an mit der Übersetzung: „Geh du!“ – Wörtlich übersetzt bedeutet „Lech Lecha“ „Geh für dich!“, „Geh dir!“ oder auch „Geh zu dir!“
Mehr als ein halbes Jahrhundert später sagt Gott zu Abraham – so heißt er zu diesem Zeitpunkt – noch einmal: „Lech Lecha!“ – „Geh hin in das Land Morija und opfere dort deinen einzigen Sohn…“ (1. Mose 22,2).
In beiden Fällen fordert Gott von dem Auserwählten, etwas Vertrautes loszulassen, um sich auf etwas Ungewisses einzulassen. In beiden Fällen sagt Gott nicht, wo es hingeht, sondern fordert Glauben: „Geh in ein Land, das ich dir zeigen werde!“ – „Geh auf einen Berg, den ich dir sagen werde!“
Es gibt noch eine andere Stelle in der Heiligen Schrift, in der ein ähnlicher Begriff auftaucht. Im „Lied der Lieder“ fordert der Bräutigam seine Braut gleich zwei Mal auf: „Steh auf, meine Freundin, meine Schöne und ‚Lechi Lach’ – ‚komm für dich’!“ (Hoheslied 2,10.13).
Wie der Bräutigam die Braut, so ruft Gott den Abram in eine exklusive, einzigartige, unvergleichliche Beziehung. Das „Anhangen“ und „ein Fleisch werden“ von Mann und Frau setzt voraus, dass „ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen muss“ (1. Mose 2,24). Wenn die Aufforderung Gottes an Abram allen Menschen gälte, wäre sie so pervers, wie wenn ein Mann alle Frauen aufforderte, seine Braut zu werden.
Der große deutsch-jüdische Bibelwissenschaftler Benno Jacob übersetzte das „Lech Lecha“: „Durchschneide alle Bande, geh, ohne zurückzublicken“. Dann erklärt er die Intention des einzigartigen Gottesbefehls: Er bezeichnet „die Uninteressiertheit an allem Sonstigem, sich um nichts anderes kümmern, als nur das Gehen an sich, sich darin verlieren, seinen eigenen Weg gehen“. „Es ist die Forderung an den Gottberufenen, einzig seinen Weg zu gehen.“
„Lech Lecha!“, das ist die Grundlage der Erwählung Israels. Wenn wir den ausschließlichen und einzigartigen Charakter der Beziehung Gottes zum jüdischen Volk nicht anerkennen und stehen lassen – ohne gleich „Ja, aber…“ zu denken! – werden wir Israel nie verstehen. Und wir werden nie verstehen, was für eine Beziehung der lebendige Gott, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, mit uns – mit Ihnen und mit mir! – sucht.
Gott liebt nicht einfach nur alle Menschen und schüttet dementsprechend seine Liebe und Erlösung nach dem Gießkannenprinzip über der Welt aus. Er ruft Einzelne ganz konkret in die Nachfolge: „Komm für dich und geh für dich – auf den Weg, den ich Dir zeigen werde!“
Mit herzlichem Schalom grüßt Sie aus Jerusalem,
Ihr Johannes Gerloff